Es war einmal in Weilmünster

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Geschichten aus der Heimatstube – Es war einmal in Weilmünster

Im Archiv der Heimatstube des Heimatvereins Weilmünster e.V. sind zahlreiche Dokumente in Bild und Schriftform diverser Autoren, teilweise handschriftlich, zu finden, die die Geschichte unseres Marktfleckens im unteren Weiltal von etwa dem Jahr 1000 an bis in die heutige Zeit dokumentieren. Vereinsmitglieder begannen diesen Schatz zu heben, zu sichten, zu illustrieren und in Form einer Dokumentensammlung mit dem Arbeitstitel „Geschichten aus der Heimatstube – Es war einmal in Weilmünster“ der heutigen und zukünftigen Bevölkerung zu bewahren.

Es ist nicht beabsichtigt eine Chronik zu erstellen, sondern die unzähligen Begebenheiten aus der Vergangenheit unserer Heimatregion nach Zeitepochen geordnet, dem interessierten Besucher unserer Heimatstube zum Studium zur Verfügung zu stellen. Eine umfangreiche Arbeit, die uns noch einige Zeit beschäftigen wird. Bisher ist schon eine ansprechende Anzahl an illustrierten Dokumenten entstanden, die in den Ausstellungsräumen der Heimatstube einzusehen sind.

Auszüge aus den erwähnten Dokumenten veröffentlicht der Heimatverein Weilmünster e.V. in Kurzform in regelmäßigen monatlichen Abständen in der Heimat und Bürgerzeitung „Weilmünsterer Nachrichten“. Die bereits erschienenen oder in Kürze erscheinenden Beiträge hinterlegen wir dauerhaft auf dieser Internetseite. Sollten Sie Interesse an den kompletten Dokumenten haben, die zum Teil sehr umfangreich sind, können sie  diese in der Heimatstube des Heimatvereins Weilmünster e.V. einsehen. 

Inhaltsverzeichnis

420 Jahre Marktrechte Weilmünster 1601 – 2021

Der Heimatverein Weilmünster e.V. erinnert, frei nach der Chronik von Robert DannRedigiert von Heribert Domes

Wir blicken zurück in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit ist man von der  Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft übergegangen und die Frondienste wurden in geldliche Abgaben umgewandelt. Mit den Herren der Grafschaft Nassau Weilburg, Philipp II., Ludwig I. und Philipp III kamen die Weilmünsterer Bürger gut zurecht. Alle frühere Sachleistungen sind von dieser Zeit an in Geldform entrichtet worden. Als nun Graf Abrecht 1561 seinem Vater folgte führte dieser ab 1563 erneut Natural-Dienstleistungen in einer solchen Höhe ein, dass der Eindruck entstand, der Graf wolle die Bürger der wohlhabenden Gemeinde unter Druck setzen. Dadurch wurde das lange Jahre bestandene patriarchische  Verhältnis zwischen den Bürgern von Weilmünster und der Grafschaft Nassau Weilburg ernsthaft getrübt.

Mit ungeschickter Hand und wenig Fingerspitzengefühl versuchte Graf Albrecht seine Forderungen gegenüber den Bürgern von Weilmünster durchzusetzen und schreckte auch vor Gewalttaten nicht zurück. Dies ließen sich die Einwohner von Weilmünster nicht gefallen. Sie verweigerten die geforderten Dienste und klagten ab 1563 beim Reichs Kammergericht in Speyer um mit Hilfe des kaiserlichen Gerichtes ihre Rechtsansprüche durchzusetzen. Zwischen 1563 und 1586 brachten sie 46 Klagen vor. Ein schwieriger und langwieriger Prozess entstand.

23 Jahre dauerte der Konflikt zwischen Weilmünster und seinem Landesherren, der von 1577 bis 1584 nahezu einem förmlichen Kriege glich. In dieser Zeit ließ Graf Albrecht etwa 4000 Stück Vieh pfänden, er ließ alle diejenigen ausweisen, die ohne Erlaubnis seiner Beamten in sein Gebiet eingewandert waren und dort geheiratet hatten, um nur wenige der Repressalien zu erwähnen. Die Weilmünsterer Einwohner sind ihrem Herren in dieser Konfliktzeit nie eine Antwort schuldig geblieben. Es entstand eine Bauernrebellion, eine heroische Tat. In dem letzten und härtesten Abschnitt dieses Kampfes schrien die Weilmünsterer Einwohner ihren Landesherren  als Pharao, als Dionys und als Maxentius aus. 

Der Fall war schwierig und wurde immer anstößiger, je länger er sich hinzog. Die beiden Schwager von Graf Albrecht, Johann VI. von Nassau Dillenburg und Konrad von Solms Braunfels bewogen im Februar 1584, dass er Graf Albrecht den reumütigen Weilmünsterer Bürgern verzeihen solle. Als Ende 1584 immer noch etwa 100 Bauern in ihrem Widerstand beharrten, wanden sich Albrechts Verwandte an den Kaiser. Rudolf II. beauftragte 1586 die freie Reichsstadt Frankfurt die noch bestehenden Streitigkeiten zu schlichten. Das Urteil, das einen Schlusspunkt hinter den Streit zwischen der Gemeinde Weilmünster und der Herrschaft Nassau Weilburg setzte, wurde am 13. Februar 1587 von der Freien Reichsstadt Frankfurt gefällt. Für Weilmünster fiel der Richterspruch günstiger aus als Anfangs befürchtet. Die Bürger konnten ihren etwa 5000 ha. großen Laub und Nadelwald behalten, sie mussten nur die 1588 ha große Waldfläche „Burgk“ für 1200 Gulden an den Grafen verkaufen.  Weitere Einzelheiten dieses Urteils sind nicht überliefert. Am 08. Mai 1588 erkannte Weilmünster diesen Schiedsspruch an.

Graf Albrecht verstarb am 11. November 1593 auf seinem Schloss in Ottweiler und wurde fern seiner Heimat in der Klosterkirche zu Neumünster im Saarland begraben. Erst unter seinem Sohn und Nachfolger Graf Ludwig II. bahnte sich sehr rasch ein besseres Verhältnis zu den Einwohnern von Weilmünster an. Um sich mit den Bürgern Weilmünsters auszusöhnen bat Ludwig II. den Kaiser Rudolf II. im Februar 1601 um die Erhebung Weilmünsters zum Markttor. Er ließ seinem Kaiser wissen, dass in seiner Grafschaft ein Dorf mit Namen Weilmünster liegt, dass bis heute noch keine offenen Jahrmärkte besitzt. Er machte darauf aufmerksam, dass wenn man diesem Dorf solche Freiheiten geben würde, es nicht nur demselben Ort, sondern auch allen benachbarten, die dort die Märkte besuchen von Nutzen sein würde.

Auch Graf Ludwig II. selbst hatte ein großes Interesse an der Verleihung des Marktrechtes an Weilmünster. Die günstige Lage des Ortes, nur 2 km vom Einhaus, dem Straßenkreuz der Hessenstraße und der Frankfurter Straße und nur 5 km von den Landesgrenzen der Grafschaften Solms Braunfels und Wied-Runkel entfernt, bot Weilmünster die sichere Garantie für einen Markt mit großem Verkehr und starkem Umsatz. 

Am 28. August 1601 verlieh Kaiser Rudolf II. im Hradschin, seiner Kaiserburg in Prag, Weilmünster das Recht, 2 Jahrmärkte, den ersten auf Sonntag Lätare (der vierte Fastensonntag mit besonderer Erwartung auf den nahen Frühling, freu dich Jerusalem) und den anderen auf den Sonntag vor Martini, abzuhalten.  In der Urkunde ist zu lesen, „ ...wir versehen das genannte Dorf Weilmünster durch unsere kaiserliche Macht wissentlich mit solcher Gnade, dass seine Einwohner und ihre Nachkommen für ewige Zeiten diese Freiheiten haben. Sie sollen jährlich zu derselben Zeit mit kaiserlichen, gewöhnlichen Freiheiten 8 Tage vor und nach dem Markt gelten. Alle die dort die Märkte mit ihren Waren besuchen, sollen sie feil halten, sie sollen kaufen und verkaufen, sie sollen Freiheit, Schutz und Schirm, Recht und Gerechtigkeit haben, es sollen ihnen die gleichen Freiheiten und der gleiche Schutz gewährt werden, wie in allen anderen Marktorten auch…“

Zum Gedenken an die Verleihung der Marktrechte am 28. August 1601 durch Kaiser Rudolf II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, feiert Weilmünster jährlich seine Kirmes am zweiten Wochenende im September 2021wäre die 420. Kirmes zu feiern gewesen, die leider Corona bedingt ausfallen musste.


Wej Weilmiester zum Maadrecht kam

Woahrscheints kunnte us Vorfahrn nit all schreiwe unn lese,

awer aach ohne Mengenlehre sein se ganz gout im Rechne gewese,

denn des Land un de Wald, wej de Emesser-, de Lerche- und de Bullenberg,

dej Wohnestrut un die Gerhardshecke, überhaapt alles,

wu es sich lonte Geld nin zu stecke,

hun schun 1460, wej mer aus de Chronik erfährt,

bar bezahlt, Weilmiester gehört.


De aanzig Jammer woar, dass se ihrn Landesherrn oals Teilhaber uffnehme musste,

un do gob’s immer aan drunner, der sich nit oständig zu benemme wusste,

wej zum Beispill, Graf Alrecht, ab 1562 de oberste Boss im Nassauer Land,

su en richtige Durmel, ohne Gefoil un Verstand,

der hoa geglaabt, er könnt mit Weilmiester Rasselböck fange 

un hoat weje jeder Klaanigkeit Streit ogefange,

ununnerbroche dej Abgawe un Steuern erhöht,

mer darf goar kaam verzähle, des us des heut nit vill besser geht,

iwwerhaapt ständig gepiekst un gepetzt,

uff ostännig Leut sei Soldsate un Hunde gehetzt,

un dafür sollte ihm die Bierger im Flecke,

aach noch de Teeueid leiste unn die Stiwwel lecke.

De dickste Hund awer woar, als die Bürjer entdeckte,

dess ihr Schuldheiß mit dem Lumpes in Weilburg unner aaner Decke steckte.


Na, den hoatte se schnell aus de Roatsstubb gehollt,

uff e Kärnche gebunne un durch de Flecke gerullt,

ganz ostännig de Frack gebüchelt un de Boart ausgerisse,

un wej mer verzählt, su obbe ohne im huhe Boge in die Weil geschmisse.

Mieh oals 40 joahr lang is de Streit als hie un hergegange,

Hat aaner uffgehiert, hoat de anner groad wirrer ogefange.

Irscht wej de gräfliche Fulder agbekroatzt woar,

suwoas kimmt jo – Gott sei Dank – aach bei Grafens voar,

hoat sei Verwandschat, de Kaiser Rudolf de II. ins Bild gesetzt,

mit de Oabsicht, dess der endlich aach emoal was schwätzt,

un he schrieb noach Weilmiester,

se sulle nit länger weij de Buchmarder schreie,

er tät ihne aach  - damit se endlich des Maul emoal halle, des Marktrecht verleihe.

Oam 28. August 1601 wurd dann im Flecke ausgeschellt

Und die ganz Gemaa o die Kirch am Maadplatz bestellt.

Durt woar schon oalles fei rausgeputzt mit Ginster und Tanne,

in aaner Eck hun 3 vom Echo un 6 Leut voam Uhland zum Singe bereit gestanne,

de Parrer hoat sich uff de Trepp glei gestellt un vo Gott un de Welt geschwätzt,

inzwischen hoat sich dej mimm grießte Durscht schuan haamlich oabgesetzt,

de Feuerwehr is brannteweinbefeuert mit brennende Fackeln dorim gefalle

un de Schultheiß hoat endlich sei Red gehalle.


Bürjer vo Weilmiester hoat er gesaat,

mir hun gewonne un mir halle de Maad,

su schlechtebächer wej de Albrecht, dej hun in Zuunft naut mieh ze lache

un fier imsunst bräucht kaaner im Flecke mieh de Hannes ze mache.

Un damit de Leut den Toag - us irscht Kirmes – nit vergesse,

sulle se hippe, singe un saufe un fresse.

Doas hoat de Gemaa bis heit su gehalle,

un – ihr Leut – das hoat Eich immer oarg gout gefalle.

Der Weilbote

Weilmünsters Tageszeitung zu Anfang des 20. JahrhundertsVon Dr. Adolf Bremser†, redigiert von Heribert Domes, 2021

Es war im Jahr 1907, als ein junger unternehmenslustiger Mann, damals erst achtundzwanzigjährig, die Zeichen der Zeit mit klarem Blick erkennend, in Weilmünster in dem Priester’schen Anwesen in der damaligen Marktstraße, später Kolonialwarengeschäft Lothar Jung, heute der Spitzhacke längst zum Opfer gefallen, eine Buch-, Papier- und Schreibwarenhandlung eröffnete. Der junge Mann, als Sohn eines Landwirts in Edelsberg geboren, hatte in Weilburg in der Cramer’schen Buchdruckerei seine Fachausbildung als Buchdrucker abgeschlossen. Anschließend ging er in die Welt hinaus um seine erworbenen Kenntnisse zu erweitern, ehe er sich entschloss, in Eigenregie ein Unternehmen zu gründen, welches in der Folge einen für die damalige Zeit ungeahnten Aufschwung nahm.

Haus Hermann Buchholz – ehemals Priester, in der Hauptstraße kurz vor seinem Abriss.Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinate: 32U 455505.533 5586856.538Plus Code (google): C9JF+R9H

Nach einjähriger Tätigkeit in der Buch-, Papier- und Schreibwarenbranche im eigenem Geschäft wurde ein Entschluss gefasst, der vor der Ausführung wohl überlegt werden musste. Aber für einen Mann wie Heinrich Hirschhäuser war es eine normale Fortentwicklung seiner gesteckten Ziele, die er sich insgeheim vom ersten Tag seiner Selbständigkeit an, in Weilmünster gesetzt hatte.

Er gründete bereits 1908, eine Zeitung für den ländlichen Bereich, den „Weil-Boten“, vorwiegend auch als amtliche Zeitung für das untere Weiltal gedacht. Ein wohldurchdachter Schachzug, den er in seinem späteren Leben sicher nie bereute.

Im genannten Haus, gegenüber vom Café Wagner, entstand neben dem Schreibwarengeschäft die Druckerei für seine Zeitung. Zunächst war sie nicht so umfangreich wie das heutige „Weilburger Tageblatt“, aber immerhin für die damalige Zeit sehr beachtlich.

Von dieser Zeit an hatte Weilmünster eine eigene Presse und konnte sich somit stolz mit der Kreisstadt Weilburg messen. Die Zeitung war eine regelrechte Tageszeitung, sie erschien täglich, außer montags.  An den Tagen nach Feiertagen gab es ebenso keine Zeitung.

Wenn man heute den Bezugspreis des Weilboten in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg betrachtet, er betrug vierteljährlich 1,20 RM, ohne Trägerlohn, so denkt man an die „gute alte Zeit“ zurück. Bald schon zeigte es sich, dass der zur Verfügung stehende Raum in dem Priester’schen Anwesen für beide Abteilungen, Schreibwarengeschäft und Druckerei, zu klein wurde. Der junge Unternehmer brauchte mehr Platz um sich frei entfalten zu können. Kurz entschlossen erwarb er vom Schmiedemeister Heinrich Söhngen ein Grundstück in der damaligen Marktstraße 91, heute Hauptstraße 3. Hier entstand ein für diese Zeit moderner und großzügiger Fachwerkbau, der schon 1911 bezugsfertig war. 

Nach dem Umzug in das neue Gebäude blühten beide Sektoren des Betriebes auf, bis der Erste Weltkrieg begann. Das Erscheinen des „Weil-Boten“ kam schon am 4. August 1914 zum Erliegen, da der Chef mit der gesamten Belegschaft zu den Fahnen geholt wurde.

Das 1911 bezogene neue Verlagshaus und Papierwarengeschäft Heinrich Hirschhäuser in der Hauptstraße Nr. 3, Aufnahme aus dem Jahr1950Foto:  Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinate: 32U 455531.966 5586832.629Plus Code (Google): 9F2CC9JF+PH

Am 4. August 1914 las man in der letzten Weil-Bote-Ausgabe vor dem 1. Weltkrieg, auf der ersten Seite an markanter Stelle, die Mobilmachung. Da war in fetten Lettern zu lesen:

„Seine Majestät der Kaiser haben die Mobilmachung der Armee befohlen“.

Es folgten dann die Anweisungen für alle Männer des Beurlaubten-Standes, wie Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, angeordnet von dem zuständigen kommandierenden General des 18. Armeekorps.

In der gleichen Nummer des „Weil-Boten“ ist ferner auf der ersten Seite eine Mitteilung des Herausgebers der Zeitung, Heinrich Hirschhäuser aus Weilmünster, an die Leser gerichtet, zu lesen: 

Tausende sind schon dem Ruf des Kaisers folgend zu den Fahnen geeilt, Tausende werden noch folgen. Auch ich muss heute einrücken und da niemand von meinen Mitarbeitern zurückbleibt, muss ich meine Druckerei schließen und der „Weil-Bote“ hört darum mit dieser Nummer auf zu erscheinen. Will’s Gott, so wird er bald wieder erscheinen können! Allen rufe ich ein „Herzliches Lebewohl“ zu.

Gott schütze unser Volk und Vaterland!

Der Weil-Bote vom 4. August 1914 Titelteil der letzten Ausgabe vor dem Ersten WeltkriegArchiv Heimatverein Weilmünster

Heinrich Hirschhäuser

Das Schreibwarengeschäft wurde damals von seiner Ehefrau weitergeführt und gut über die Runden gebracht. Nachdem der Inhaber, der von Anfang bis zum Ende des Krieges draußen an der Front war zurückkehrte, dachte er vorerst nicht an ein neuerliches Erscheinen der Zeitung. Erst im Oktober 1919 erschien der langentbehrte „Weil-Bote“ wieder, anfangs nur dreimal wöchentlich, ab 1.1.1920 täglich.

Wenn damals jemand annahm, der Buchdrucker, wie er in Weilmünster allenthalben genannt wurde, würde sich nach den Entbehrungen des langen Krieges auf seinen Lorbeeren ausruhen, der hatte sich getäuscht. Die ihm angeborene Schaffenskraft und das Schritthalten mit der Gesamtentwicklung rief ihn erneut zum Handeln auf. Schon im August 1920 erwarb er den „Runkeler Anzeiger“ und am 1. Januar 1923 das amtliche Kreisblatt Weilburg.

Die Zeitung erschien nun im neuen Gewand und hieß fortan nicht mehr „Weil-Bote“, sondern „Kreiszeitung für den Oberlahnkreis“. Das Verbreitungsgebiet war ein wesentlich größeres geworden. Damit schnellte auch der Leserkreis zahlenmäßig in die Höhe und die Auflagenziffer vergrößerte sich erheblich. Als sich eines Tages in der Kreisstadt Weilburg der Erwerb des Rosenkranz’schen Hauses am Marktplatz anbot, kaufte Heinrich Hirschhäuser dieses Gebäude und verlegte sein Verlagshaus mit der Druckerei von Weilmünster nach Weilburg. 

Das war im Jahre 1924. Ganze sechzehn Jahre hatte Weilmünster seine eigene Presse gehabt. Das Papier und Schreibwarengeschäft Heinrich Hirschhäuser blieb in Weilmünster in der Hauptstraße Nr. 3 ansässig. Die Tochter Edith heiratete den Dachdecker Rudolf Weil jun. Gemeinsam führten Sie das Schreibwarengeschäft weiter und erweiterten es durch Spielwaren, Bastelartikel, Buchhandlung und einer Lotto Annahmestelle. In den 1970er Jahren wurde das Wohn und Geschäftshaus deutlich vergrößert. Es entstand ein stattliches Anwesen. Dazu bebaute man die Freifläche links neben dem 1911 bezogenen Geschäftshaus. Dadurch konnte der Verkaufsraum wesentlich erweitert werden.

Rudolf Weil verstarb sehr früh. Das Geschäft wurde von seiner Ehefrau Edith und später von Sohn Stefan Weil gemeinsam mit seiner Ehefrau unter der Firmierung Heinrich Hirschhäuser, Inhaber Stefan Weil weitergeführt. Edith Weil konnte man bis weit über ihre berufliche Altersgrenze hinaus als engagierte Geschäftsfrau im Verkaufsbereich antreffen. Stefan Weil gab im Jahr der Coronapandemie, Mitte des Jahres 2020, aus Altersgründen das Geschäft auf und das Anwesen wurde verkauft.

Das erste Gau-Turnfest in Weilmünster, 13. – 15. Juli 1912

Von Rudi Czech† - Redigiert von Heribert Domes 2021

„Gieht mer fort, ihr dumme Buwe,

was soll denn des, dej Hipperei!

Habt ihr weiter naut zu schaffe,

wej die schleechte Turnerei“

So oder ähnlich dürften die Wiegenlieder geklungen haben, als eine Handvoll junger Weilmünsterer Bürger voller Begeisterung anfingen Sport zu treiben, es den anderen nachzumachen, die sich schon längst überall im Lande zu Turn und Sportvereinen zusammengefunden hatten.

Inspiriert und begeistert von mehreren Übungsstunden im Turnverein Katzenellenbogen traf der Färber Otto Schäfer, nach seiner Rückkehr in den Marktflecken Weilmünster, den Kaufmann Richard Loew, der in Frankfurt die Gemeinschaft und die Freude am Turnen nachhaltig erlebte. Beiden gelang es Freunde und Altersgenossen für ihre und die Ideen Jahns zu begeistern. Aus dieser Euphorie heraus gründeten sie im Jahre 1903, zusammen mit den weiteren turnbegeisterten Weilmünsterer Bürger, Schreiner Heinrich Bonnkirch, Schlosser Karl Fey, Wegewärter Heinrich Hardt, Landwirt Friedrich Kunkler, Weißbinder August Nehl und Amtmann i.R. Erhard Ströter den Turnverein 1903 Weilmünster. 

Die zu Anfang  noch recht dürftigen turnerischen Leistungen ernteten den Spott und das Gelächter der Bevölkerung, wenn sie unter den Kastanienbäumen auf dem damaligen Marktplatz, heute Rathausplatz,  zwischen der Kirche und der alten Schule ihre ersten Übungen am Barren und Reck absolvierten. Dank der Beziehungen von Richard Loew, konnte der Kammer-Rat Jockel aus Braunfels als erster Turnlehrer und Übungsleiter für den jungen Verein gewonnen werden.

Der Ausbildungsstand entwickelte sich erstaunlich schnell und es kamen weitere bisher Zögernde und Unentschlossene zur Turngemeinschaft hinzu. Bald verlegte man den Turnbetrieb auf den Bleichplatz in der Au, später in die Weilehecken, dem heutigen Schulhof der Grundschule. Mit viel Eifer und allen verfügbaren Kräften ebnete man das wüste und holprige Gelände ein und konnte dadurch einen brauchbaren Turnplatz schaffen. Ein Waagehäuschen, von der Gemeinde erworben und auf dem hergerichteten Gelände aufgestellt, diente als Geräteschuppen.

Auf dem Gauturntag in Villmar am 17.02.1907 erfolgte die Aufnahme des Vereins in den Lahn-Dill- Gau und damit in die Deutsche Turnerschaft. Dadurch konnte das Ansehen in der Bürgerschaft wesentlich gehoben werden. Diese Wertschätzung führte bald zu einer gewaltigen Steigerung der turnerischen Leistungen. Der Ehrgeiz war erwacht und erste, teilweise hervorragende Ergebnisse konnten erzielt werden. 

Beim Gauturnfest in Herborn zeigte die Weilmünsterer Musterriege ihr schon beachtliches Können, dass in der Folgezeit unter Leitung des Turnwarts Friedrich Kunkler so ausgebaut werden konnte, dass beim Gauturnfest in Hachenburg im Jahre 1911 der 1. Sieg in der II. Klasse gelang. 

Am 19. Juni 1911 fand die Goetz-Wanderung des Lahn-Dill-Gaues in Weilmünster statt. Bei dieser Gelegenheit wurde zur Erinnerung an die 100ste Wiederkehr des Jahrestages der Eröffnung des 1. Deutschen Turnplatzes auf der Hasenheide in Berlin, auf der Südseite des Bielerberges die Jahneiche gepflanzt und ein Gedenkstein gesetzt, auf dem eine gusseiserne Gedenktafel befestigt war. Diese Tafel, die einen materiellen Wert hatte, ist in den 2010er Jahren entwendet worden. Der Elferrat des TUS 03 Weilmünster und der Heimatverein Weilmünster ersetzten gemeinsam 2020 die entwendete Gedenktafel durch eine neue Gedenkplakette. 

Gauoberturnwart Münch, ein ganz besonders eifriger Verfechter der Turnbewegung, hat schon vor dem Ersten Weltkrieg darauf hingewiesen, wie günstig gelegen der Bielerberg zur Abhaltung eines Bergfestes sei; eine Anregung, die nach dem 2. Weltkrieg in Weilmünster Verwirklichung fand.

Das äußerst erfolgreiche Abschneiden beim Gau-Turnfest in Hachenburg im Jahre 1911 beflügelte die Verantwortlichen in Weilmünsterer ein Gauturnfest auszurichten. Für den Marktflecken war das eine Riesensache. Zum 29. Gauturnfestes des Lahn-Dill-Gaues vom 13. – 15. Juli 1912 fanden etwa 900 Teilnehmer, 55 Musterriegen und einige hundert Zwölfkämpfer den Weg in unsere Marktgemeinde. Fast 700 Freiquartiere mit voller und freier Verpflegung der Teilnehmer, stellte die Weilmünsterer Bevölkerung für ihre Gäste zur Verfügung. Das Gauturnfest beinhaltete alle denkbaren Turn-Disziplinen. In dem damals neu errichteten Buchholz-Saal wurde das Geräteturnen abgehalten. Auf dem Gelände, auf dem sich heute die Weiltalschule befindet, war damals eine große Wiese, auf der bemerkenswerte Massenfreiübungen ausgeführt wurden. Später baute man auf dieser Wiese den Weilmünsterer Fußballplatz mit der Dreschhalle. 


Grußkarte vom 29. Gauturnfest des Lahn Dill Gaues vom 13. – 15. Juli 1912 in Weilmünster Archiv Heimatverein Weilmünster

Ein großartiges Erlebnis boten die Weilmünsterer Bürger ihren Gästen und sich selbst. Unter anderem gab es das Tauziehen. Diese Disziplin fand schon 1886 bei der ersten Olympiade in Athen statt. Eine Großzahl starker Männer aus allen Gegenden des Turngaus angereist, maßen in Mannschaftsform ihre Kräfte. Die Sieger bekamen einen Eichenlaubkranz auf das Haupt gesetzt. Eine weitere Herausforderung war es, allen Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, einen Weg zu einer Toilette zu finden. In dem landwirtschaftlich geprägten Marktflecken gab es viele Puddelkauten und noch mehr Häuschen mit Herz. Über das absolute Gelingen dieser Disziplin wollen wir schweigen. Häuschen mit Herz. Über das absolute Gelingen dieser Disziplin wollen wir schweigen.


Nach Abschluss dieser gelungenen Turngau-Festspiele gab es einen riesigen Festzug durch den Flecken und besonders erwähnenswert ist, es durften sogar Frauen an dem Festzug unter der Bedingung teilnehmen, sie mussten Strümpfe tragen und ihre Turnhosen mussten unterhalb des Knies abgebunden sein, damit kein lüsterner Blick etwas höher geraten konnte. Das Rauchen, Tragen von Stöcken und Schirmen beim Festzug war strengstens verboten. Die Regimentskapelle des 116. Infanterie Regiments aus Gießen musizierte beim Kommers und wirkte beim Festzug mit. Die Festansprache hielt der Ehrenpräsident, der damalige Direktor der Heil und Pflegeanstalt Weilmünster, Herr Sanitätsrat Dr. Lantzius Begina. 

Er erwähnte unter anderem: „Hier sieht man das Beispiel, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist lebt. Weiterhin lobte er den stattlichen und imposanten Festzug, wie Weilmünster vorher noch keinen gesehen hatte, der sich durch die Straßen wallte. Ja unsere Turnerschaft kann sich sehen und überall stolz und frei ihr Banner wehen lassen,” waren seine Worte.

Die am Sonntag den 14. Juli 1912 im „Weil-Bote“ erschienenen Anzeige, die auf das vielseitige Belustigungsprogramm neben dem Gau-Turnfest hinwies. Archiv Heimatverein Weilmünster

Das Turnfest war ein voller Erfolg! Weilmünster stellte eine 8 Mann starke Musterriege und eine Zöglingsriege, so nannte man damals die Jugendturner – mit 20 Teilnehmern, die sich wacker schlugen und auszeichnen konnten. Im Turner-Zwölfkampf erhielten den begehrten Eichenkranz die Turner: Adolf Weil, Anton Ickstadt, Hermann Eppstein, Friedrich Kunkler, Ernst Rippel, Alfred Wissig, Peter Kipp und August Nehl. Viele Dankeschreiben und Danksagungsannoncen im “Weil-Bote”, der Weilmünsterer Tageszeitung, sorgten noch lange für Gesprächsstoff und ein zufriedenes Erinnern.

Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster 

Von Rudi Czech, Dr. Elisabeth Knobling und Robert Dann.Redigiert von Heribert Domes, 2021

Am Ende des 19. Jahrhunderts begannen die vorbereitenden Arbeiten zum Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster, 1897 ihrer Bestimmung übergeben, heute Vitos, eine Gründung der Stadt Frankfurt/Main und des Bezirksverbandes Wiesbaden mit dem Hintergrund, weitere Betreuungsplätze für psychisch kranke Menschen bereitzustellen. 

Die Klinik Eichberg im Rheingau, nahe dem Kloster Eberbach gelegen, ist die älteste psychiatrische Klinik der preußischen Provinz Nassau. 1849 wurde die "Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" (heute Vitos) in Betrieb genommen. Bis heute werden hier psychisch krankte Menschen behandelt. Gegründet wurde die Klinik aber bereits 1815 im nahegelegenen Kloster Eberbach. In der Klinik Eichberg hat man 1815 erstmals die psychisch kranken Menschen von den Kriminellen getrennt und sie als Kranke einer Behandlung und Betreuung zugeführt. 

Mit dem Beginn der Neuzeit, auch bedingt durch die körperliche und seelische Belastung und Überanstrengung der Menschen, aber auch durch die Tatsache, dass man bis dahin viele mit seelischen Leiden behafteten Menschen bisher keiner stationären Behandlung zugeführt hatte, wuchs die Zahl der psychisch Kranken von Jahr zu Jahr. Die Plätze auf dem Eichberg reichten nicht mehr aus und ein Neubau einer weiteren Heil- und Pflegeanstalt an einer anderen Stelle im Land wurde notwendig. 

Die Bewerbung Weilmünsters, um diese Einrichtung, war angeregt und umgesetzt durch den 1896 verstorbenen Landwirt Hermann Nickel, der jahrelang Kreisausschussmitglied gewesen war. Er war mit dem Landeshauptmann Otto Satorius befreundet, dessen Vater war Lehrer in Essen und dessen Großvater Georg Peter Satorius hatte bis 1822 hier in Weilmünster als Mädchenlehrer gearbeitet. Möglicherweise wirkte sich diese Freundschaft positiv auf die Standortwahl aus. Weilmünster gewann gegen die Mitbewerber Westerburg und Limburg. 

20 Gehminuten oberhalb von Weilmünster gelegen, wählte man das gegenüber der Blumenmühle, rechts der Weil, am Berghang auf den früheren Felddistrikt „im Völdchen“ befindliche Gelände als Standort aus. Damals war es üblich, derartige Kliniken außerhalb der Gemeinden sowie weit entfernt von Ballungsräumen zu bauen um die Patienten von der Welt der Gesunden zu isolieren, zu disziplinieren und in der Anstalt dauerhaft festzuhalten. Für das Bauland erhielt die Gemeinde Weilmünster 11.000 Mark vom Kommunalverband. 

Einweihungsfeier der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster am 31. März 1898Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster               

Planungsbeginn war 1892/1893, für Weilmünster ein besonderes Ereignis. In der Zeit von 1895 bis 1897 entstand ein autonomes Gebilde, mit 8 Krankengebäuden, je ein Verwaltungs-, Wirtschaft-, und Werkstätten-Gebäude sowie eine Kirche, ein Leichenhaus, ein Bauernhof mit einer Anzahl von Wohngebäuden, ein Pferdestall, ein Hühnerhof und eine Gärtnerei zur Versorgung und Beschäftigung der Patienten. Das heutige Seifenheck war damals der Gemüsegarten der Anstalt. Zunächst war ihre Kapazität für 550 bis 600 Patienten geplant und durch die spätere Fertigstellung von zwei weiteren Krankengebäuden auf 800 erweitert worden. Die Belegung stieg vor dem ersten Weltkrieg bis auf 1000 Patienten an.

Für den Bau der Landes-Heil- und Pflegeanstalt musste am Güterbahnhof Weilmünster alles mit der Bahn ankommende Baumaterial entladen werden. Die Bahnstrecke Weilmünster nach Grävenwiesbach, mit dem Bahnhof Kurhaus, ist erst 1907 gebaut worden. Die Gespann-Halter hatten eine zusätzliche Einnahmequelle. Mit ihren Fuhrwerken transportierten sie das am  Bahnhof ankommende Material zur großen Baustelle an der oberen Weilstraße. Ein Segen für die Weilmünsterer Bevölkerung sowie der angrenzenden Region. Zahlreiche Bauarbeiter und Handwerker fanden während der Bauzeit Lohn und Brot für sich und ihre Familien.

Wenige Monate nach der Eröffnung, am 31. März 1898, lebten in der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster 171 Patienten. Sie wurden von 27 Wärtern und 26 Wärterinnen betreut. Außer dem ärztlichen Direktor Dr. Georg Langreuter wirkten noch zwei weitere Ärzte, ein Oberwärter und eine Oberwärterin, ein Verwaltungsleiter mit drei Mitarbeitern, ein Koch und eine Weißzeug Beschließerin in der Anstalt. 

Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster, eröffnet 1897Aufnahme aus dem Jahr 1907,Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterKoordinate_UTM: 32 U 456695 5585979Plus Code (google): 9F2CC9FR+M4

Die leitenden Persönlichkeiten waren mit ihren Familien sehr großzügig untergebracht und für die damaligen Verhältnisse gut bezahlt. Die Arbeitsbedingungen für das nachgeordnete Personal, insbesondere für das Pflegepersonal, war schlecht und der Lohn sehr gering. Der Anfangslohn eines Wärters, freie Station, Kleidung usw. belief sich auf 750 bis 800 Mark im Jahr. Neben dem regelmäßigen vierzehntägigen Jahresurlaub ist dem Aufsichtspersonal wöchentlich einmal ein Ausgang von drei Stunden gewährt worden. Die Wärterinnen sowie die Wärter waren mit ihren Patienten Tag und Nacht auf der Krankenstation eingeschlossen. 

1911 wohnten in der Summe 1200 bis 1300 Menschen, Personal und Patienten zusammengerechnet, in der Anstalt. Im Vergleich dazu, im Jahr 1905 hatte der Marktflecken Weilmünster 1.671 Einwohner. Nach dem Tod vom ersten ärztlichen Direktor Dr. Georg Langreuter, Anfang der 1900er Jahre, folgte der Sanitätsrat Dr. Eberhard Lantzius-Begins in die Direktorenfunktion. Zu dieser Zeit standen ihm sechs weitere Ärzte zur Seite, von denen der Oberarzt Dr. Karl Schmelzeis stellvertretender Direktor war. Die Verwaltung leitete der Rendant Johann Baptist Priester und Ökonomieverwalter war damals Wilhelm Leininger. 

Die Anstaltspforte mit dem Pförtner Herrn Rübling Aufnahme aus dem Jahr 1907 Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterKoordinate UTM: 32U 456686.322 5585787.656Plus Code (Google): 9F2CC9FR+24

Die Anstalt besaß auch eine Musikkapelle, die sich aus dem Personal rekrutierte. Sie spielte nicht nur für Veranstaltungen und Feiern innerhalb der Einrichtung, sondern auch auf der Kirmes und weiteren Tanzveranstaltungen im Marktflecken und in den Orten der Umgebung. Dadurch konnte so mancher Pfleger sein oft karges Gehalt aufbessern. 

Für den eigenen Bedarf und zur gelegentlichen Beschäftigung der Patienten war damals eine eigene Schlosserei, Schuhmacherei, Schreinerei und eine Schneiderwerkstatt eingerichtet worden. Soweit die Patienten sich dazu eigneten, wurden sie in den genannten Werkstätten sowie im landwirtschaftlichen Betrieb eingesetzt.

Anfänglich wirkte sich die 1897 in Betrieb genommene Heil- und Pflegeanstalt günstig auf das wirtschaftliche Geschehen in Weilmünster und den umliegenden Orten aus. Der Bäcker Schlicht aus Weilburg lieferte Brot, der Metzger Haibach aus Weilmünster Fleisch und Wurstwaren und der Landwirt Moritz Vonhausen aus Weilmünster die Milch, zur Verköstigung der Patienten. 

Die sehr positive Entwicklung der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen. Zahlreiche männliche Mitarbeiter wie Ärzte, Pfleger und Verwaltungsangestellte sind zum Wehrdienst einberufen worden. Die Ernährung und Betreuung der Patienten verschlechterten sich und Seuchen forderten ihre Opfer. 

Die Folgen des Ersten Weltkrieges wirkten sich noch einige Jahre nach Kriegsende hin aus. Die Anstalt war im Jahr 1920 fast ohne Insassen und sollte industriellem Nutzen zugeführt werden. Der Landesverwaltung mit dem Landesausschuss und dem kommunalen Landtag gelang es diese Einrichtung für soziale Aufgaben zu erhalten. Die Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster wurde 1921 Nassauisches Volkssanatorium und beherbergte erholungsbedürftige Erwachsene, Ferienkinder, kranke Kinder und alte Menschen.

Unser tolles Weilmünster

Eine humoristische Betrachtung unseres Marktfleckens, von dem kürzlich verstorbenen langjährigen ersten Vorsitzenden des Heimatvereins Weilmünster, Rudi Czech, Jahrgang 1926.Redigiert von Heribert Domes, 2021

Liebe Leser, wisst Ihr eigentlich was Weilmünster ist,

wie man dessen Bedeutung misst,

woran man es wohl dann und wann

als typisch auch erkennen kann. Nein?

Na, dann hört mal her und entdeckt es!


Weilmünster ist ein von seinen Satelliten umgebenes, an der Weil hingestrecktes,

zwischen Biel und Köpperich in einem nebligen Tale verstecktes,

mit Wäldern, Feldern, Häusern und Schulen bedecktes,

politisch betrachtet, schwarz-rot mit bunten Tuppen geflecktes,

schon lange nicht mehr von den Grünen genecktes,

von Land und Staat allzu oft in die Tasche gestecktes,

von Kulturhochtaten nur spärlich belecktes,

über manche Baugestaltung aufgeschrecktes,

zu Hochwasserzeiten heizölverdrecktes,

dank Banken und Bänker unsanft gewecktes

und dementsprechend pro und contra erregtes,

vom neuen Koschel – parteilos - im sanften Winde bewegtes,

in Wahlzeiten von Parteien zärtlich umhegtes,

ein paar Wochen danach aufs Kreuz gelegtes,

von Rewe, Penny und Aldi verpflegtes,

moralisch gesehen, leicht abgeschrägtes,

zur Fastnachtszeit von Narren hinterhältig angesägtes, uraltes, kleines Taunusnest,

das Jedem – in gewissen Grenzen – sehr viel Freiheit lässt,

doch für alle im Flecken ein Fleckchen hat.

Bleibt ruhig hier und meidet die Stadt,

bleibt hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,

in unserem tollen Weilmünster.


In diesem Flecken, durch den die Weil ihr kristallklares Wasser führt,

falls links und rechts davon keiner räuselt und rührt,

gibt es kaum etwas was nicht passiert

und immer einen Narren der es genau registriert.

Sicher wird auch hier – mit gebremstem Schaum,

ab und zu ein kleiner Aufstand probiert,

außer Samstag und Sonntag jede Krankheit kuriert,

mit 30 – 100 Prozent Rabatt aufs Glatteis geführt,

zum Heimatfest immer wieder der alte Käse serviert,

im Seifenheck  - mit Hypotheken gedüngt – das Land kultiviert,

auf der Brücke jede Mücke zum Ochs projiziert,

in den Hochwasserschutz jeder nutzlose Cent investiert,

weshalb auch nicht mehr die Weil zugefriert.

Der Zeller geplättet und exportiert,

Döner, Kebab und Pizza an jeder Ecke serviert,

der Kirchturm mit einem neuen Engel garniert,

in Neudeutsch – cool und geil SMS transferiert 

und nicht mehr – schlicht und einfach – telefoniert,

so kann man sehen was oder was nicht funktioniert

und dass bei uns jeder einen „Tuppen“ hat,

was ist da anders als in der Stadt?

Drum bleibt hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,

in unserem tollen Weilmünster.


Weilmünster ist natürlich auch eine Reise wert,

vorausgesetzt man fühlt sich nicht dadurch gestört,

dass sich der Verkehr wie Kaninchen vermehrt,

wenn man bei Kohls vorbei durch die Hauptstraße fährt.

Aber sonst ist Weilmünster sein Geld schon wert,

ein ruhiger Ort, blumengeschmückt und bis zur Anstalt gekehrt,

ein Ort in dem man nachts nur die melodischen Töne der Autos hört,

keine Straßenbahn klingelt, kein Zug mehr verkehrt,

in dem sich die Mehrzahl der Bürger von Pommes und toten Schweinen ernährt,

die man am liebsten mit Bier vermengt als Schnitzel verzehrt

und ein sauberer Flecken in dem sich niemand beschwert,

ganz einfach – weil ein jeder – nur vor der eigenen Türe kehrt

und keiner mit dem anderen Schlitten fährt.

Also ist Weilmünster bestimmt eine Reise wert,

ein Paradies, mit allem was dazu gehört,

wo Adam mit Eva allerdings nur noch mit der Pille verkehrt,

aber die Hunde noch kacken und der Hirsch noch röhrt,

so wie die Gemeinde in ihren Prospekten erklärt,

der Wald so nahe, dass man die Holzwürmer hört,

Wer in so einem Ort lebt, der weiß was er hat,

bleibt auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,

in unserem tollen Weilmünster.


In Weilmünster wird fast jeder Beruf praktiziert,

kleine Brötchen gebacken, gemengt und gerührt,

am Zeug geflickt und über den Löffel galbiert,

manches Astloch stillschweigend zugeschmiert,

auf den Putz gekloppt, geleimt und rasiert,

auf Teufel komm raus um jeden Dreck diskutiert,

im Dunklen gefischt und jeden Zores probiert,

auf Sand gebaut und aufs Glatteis geführt,

mit Fastfood und Ketchup ins Weekend kutschiert,

„all you can eat“ beim Munzur studiert,

das Display gecheckt, Event aufgespürt,

bei happy hour ein softer small talk justiert,

die eigene Pole-Position beim Casting fixiert

mit dem Lover gesimst und gebimst am Handy doziert,

per I-Pot und E-Mail steile Zähne verführt,

geoutet, gegoogelt, fehlendes Wissen kaschiert,

unser Deutsch oft sinnlos konterkariert

als ob das Digitale ein jeder kapiert.

Aber hier bei uns wird nicht nur der Geist geschult und auf Hochglanz poliert,

hier kann auch dem geholfen werden, der seinen Körper studiert

und feststellt, dass es Zeit wird, dass man dies und jenes repariert,

falls die Gicht oder Rheuma sekiert,

der Poppes wehtut oder die Form verliert,

ein Hühnerauge die Zehen verziert,

die Bandscheibe kreischt, sich das Zipperlein rührt,

bei Heizölknappheit die Glieder gefriert

oder sich eine Säufernase vor den Leuten geniert,

wenn irgendeine Stelle kein Leben mehr spürt

oder sonst ein Leiden den Nerv strapaziert,

ein harmonisches Haus die Leiden kuriert

und im indischen Flair alles wegmassiert.

Hier bei uns wird jedem geholfen – egal was er hat

und alles viel besser als in der Stadt,

hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,

in unserem tollen Weilmünster.


Weilmünster ist übrigens schon seit Jahrhunderten globalisiert,

hier wurde auf Teufel komm raus – mit Erfolg integriert,

zum Beispiel Russen, einst im russischen Eck einquartiert,

Vertriebene aus dem Osten haben die drohende Inzucht kuriert,

Italiener und Türken mit Kebab und Pizza Weilmünsters „Gemois mit Flaasch“ variiert,

natürlich wird in Weilmünster auch politisiert,

jedoch nicht zu heftig, fast harmonisiert,

so dass man kaum den Stachel des anderen spürt.

Der schwarze Köberle im Landkreis Probleme kanalisiert,

der parteilose Mario– oft geheimnisvoll die Gemeinde regiert,

der dritte M erfolgreich den TUS dominiert,

aber alle, auch so kantig und eckig, dass es das Fußvolk als mal zu Tränen rührt.

Na ja, wer von Euch also auf dem Drahtseil der Politik balanciert,

muss schwindelfrei sein damit ihm kein Fehltritt passiert,

wie leicht ist man ausgerutscht und abgeschmiert,

wenn auch die Partei darunter ein Netz montiert,

so gilt der Beifall nur dem der oben bleibt und versiert,

im Scheinwerferlicht seine Tricks produziert.

Gott sei Dank, dass Weilmünster auch ein paar solche Artisten hat,

genauso tüchtig – wie in der Stadt,

hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster

in unserem tollen Weilmünster.


Weilmünster ist mit Sicherheit,

am schönsten in der Fastnachtszeit,

da wird aus jeder Begebenheit,

das ist ja die beste Gelegenheit,

ein kunterbuntes Narrenkleid,

zugegeben – manchmal ist es in den Schultern zu breit,

in der Taille zu eng, der Kragen zu weit

und es passt auch nicht jeder Persönlichkeit,

weil ein Flicken am Anzug der Eitelkeit,

nicht den richtigen Glanz verleiht.

Aber was soll‘s! Was wirklich zählt ist die Heiterkeit,

denn ein Tag ohne Lachen – ist verschwendete Zeit.

Welch ein Glück, dass Weilmünster noch immer was zu lachen hat,

deshalb lacht hier – erspart Euch die Stadt.

Hier ist ein herrlicher Fleck zwischen Wald und Ginster, in unserm tollen Weilmünster.


Rudi Czech als Maler und Stadtschreiber während der Feier 400 Jahre Marktrechte Weilmünster am 09.09.2001Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

Die älteste Steinkirche im Weiltal

Von Albert Radu† – Redigiert von Heribert Domes, 2022

Die alte Kirche von Weilmünster, bereits im Jahre 1217 urkundlich erwähnt, war ein Mittelpunkt der Urbanisation im unteren Weiltal. Mit den Gotteshäusern in Altenkirchen und Mengerskirchen ist sie nach Dr. C. Spielmann, Geschichte von Nassau II, der Namensbildung nach, im 8./9. Jahrhundert entstanden. In jener Zeit bedeutete Monasterium (Münster) eine Kirche, an deren Ort mehrere Priester nach Mönchsart lebten und sich den Dienst und die Amtsvorrichtungen teilten. Urkundlich wurde der erste Pfarrer von Weilmünster in einer Schenkungsurkunde vom Kloster Eberbach unter dem Namen Gernadus (Grenand) erwähnt. Weilmünster war damals schon ein ansehnliches Kirchdorf.

Im siebten zum achten Jahrhundert hatte das Kloster Fulda in der hiesigen Gemarkung, zwischen den Flurstücken „Im Völdchen und Gäßchen“, eine frühgeschichtliche Dorfwüstung als Geschenk erhalten. Sie lag einen Kilometer oberhalb vom Kirchdorf Weimünster, an der Furt der uralten keltischen Wellerstraße am Fuß des Wellersbergs. Aus diesem Anlass ließ das Fuldaer Kloster, zu den hiesigen ältesten Siedlungen des Weiltals, eine Kirche in Form eines Münsters errichten.

Um die Jahrtausendwende wurden in unserer Gegend die Holzkirchen-Gebäude in Steinkirchenanlagen umgebaut. Dadurch ist die ursprüngliche Form der ersten hiesigen Kirche nicht mehr vorhanden. Die spätere, in Stein erbaute Kirche, hatte nach Abbildungen der Weilmünsterer Ortssiegel, die heute noch amtlich gültig sind, zwei Türme auf der Westseite in Ost-West-Orientierung. Das heißt: Die Türme als Symbol des „Weltlichen“ standen im Westen und das Chorgebäude als Zeichen des „Göttlichen“ stand wie noch heute im Osten des Kirchengebäudes, entsprechend dem natürlichen Wortspiel: „Ex oriente lux“, „aus dem Osten kommt das Licht“ (Christentum).

Siegel des Heimatvereins Weilmünster mit der  ursprünglichen Form der ersten Weilmünsterer Kirche 
1916 wurden die Kastanienbäume gefällt, die auf Anordnung der napoleonischen Verwaltung auf dem ehemaligen Friedhof, der 1814 aus hygienischen Gründen außerhalb des Ortsteils im „Laukelt“ angelegt wurde, gepflanzt werden musstenFoto: Archiv Heimatverein WeilmünsterKoordinate UTM: 32U 455396.509 5586831.659Plus Code (Google): 9F2CC9JC+PQ

Der heutige Kirchturm wurde vom 13. zum 14. Jahrhundert in seiner viereckigen Grundform errichtet, und später um 1731, nach einem Brand um 1,20 Meter in seinem Mauerwerk erhöht sowie die Überdachung saniert. In seiner Gesamtform ist er ein starker, romanischer Turmbau, der an der nordöstlichen Kirchenbauecke aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk, ursprünglich als Wehrturm erbaut wurde. Die beiden Turmuntergeschosse sind in Gegenrichtung tonnengewölbt. Die gesamte Turmhöhe beträgt 29 Meter. Das helmartige Turmdach mit mehreren Absätzen ist als schlanke Haube ausgebildet und von einem reichverzierten, schmiedeeisernen Kreuz und einer Engelsfigur gekrönt, wozu festzustellen sei, dass die hiesige Kirche zweimal dem Erzengel Michael geweiht worden sein soll. Das aus dem Jahr 1731 stammende schmiedeeiserne Turmkreuz, ist als Wetterfahne, mit seinem Filigraneisenwerk, ein hervorragendes Zeugnis damaliger Handwerkskunst. Die Turmbedachung war am 20. September 1730 durch einen Blitzschlag während eines Gewittersturmes so stark beschädigt worden, dass es sich nicht mehr lohnte, sie auszubessern.

Die jetzige Gestalt des heutigen Kirchengebäudes entstand aus einem Neubau vom 15. zum 16. Jahrhundert. Der Neubau wurde notwendig, da viele Teile der Kirche baufällig geworden waren. Erhalten blieb vor allem der Chorbau mit seinem Kreuzganggewölbe. Im Jahre 1495 verpflichtete man die hiesigen Bergwerkspächter, für den Kirchenbau einhundert Zentner Eisen zu liefern. Am 29. September 1511 konnte die neue Kirche, dem Erzengel Michael geweiht, ihrer Bestimmung übergeben werden

Seit diesem Neubau hat die Kirche ein gotisches Schiff mit dem bereits vorhanden gewesenen 5/8 Chorbau an der östlichen Seite, erhalten. Zum Schiff gehören zwei spätgotische Portale. In der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Flachwerke, wie auch die Emporen auf kräftigen Balusterpfosten eingebaut. Eine weitere innere Kirchenumgestaltung erfolgte bei der Renovierung 1789/90 durch Einzug der Flachdecke und Ausbildung der Rechteckfenster in zwei Geschossen. Gleichzeitig ist damals im Chorraum die heutige Kanzel auf gedrehten Säulen mit Palmenstützen eingebaut worden. Sie befand sich bis zum Jahr 1950 hinter dem Altar auf gleicher Ebene. In dem genannten Jahr ist sie in die heutige Position über dem Altartisch, angehoben worden. Am Kanzelkorb sind Holzstatuen der vier Evangelisten zu sehen.

Opferstock mit Kerbschnitzerei aus dem Jahr 1654Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster
Altarraum mit Deckenbemalung. Das Sternenbanner des Himmlischen Jerusalems Aufnahme aus dem Jahr 1950 Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

Der vorhandene Opferstock mit Kerbschnitzerei ist aus dem Jahr 1654. Ein barocker Taufbeckenständer, eine aus Holz gefertigte Darstellung Johannes des Täufers, befindet sich vor dem Chorbau. Er ist bemalt und stammt aus dem 18. Jahrhundert. Nach der Kirchenumgestaltung im Jahr 1789 wurde weiterhin in den 1790er Jahren eine neue Orgel auf der nordöstlichen Seite der Empore, in der Turmecke aufgestellt. An ihrer heutigen Stelle, auf der westlichen Empore, steht die Orgel seit dem Jahre 1874. An der nördlichen inneren Kirchenwand, seitlich unter der Wandgrabplatte von Pfarrer Grusemann, wurden bis zum Jahre 1781 noch Erbbegräbnisse hiesiger Pfarrer vorgenommen. Vor dem alten Friedhof, der bis zum Jahre 1814 um die Kirche lag, tagte im 14. Jahrhundert das hiesige grundherrliche Gericht unter der Dorflinde.

Das Kraft-Diesterwegsche Erbbegräbnis, dass vom 28.02.1673 bis 25.01.1781 in der Kirche Weilmünster bestanden hat. Es lag unter den Kraft-Diesterwegschen Mannstühlen, rechts neben dem Kircheneingang an der Südseite der Kirche. Es ist das beim Kirchenumbau 1951 entdeckte Beinhaus (Robert Dann)Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster

1951 fand man während der Kirchenrenovierung, zur Beseitigung von Kriegsschäden, im Innenbereich rechts neben dem Kircheneingang an der Südseite Teile eines Beinhauses. Die heutige Orgel ist nach vorgenannter Renovierung unter Verwendung der noch erhaltenswerten Pfeifen zu dieser Zeit neu eingebaut worden. Außerdem wurde gleichzeitig das Kirchendach geschiefert, der Turm vollständig saniert und sein Dach ebenfalls mit Schiefer gedeckt. Damals ist die Kirche, das  Weilmünsterer Wahrzeichen, in die Verwaltung der Kirchengemeinde übernommen worden. Der Platz zwischen dem „Kirchenbau“, der „Alten Schule“ und dem „Rathaus“, wurde während den Sanierungsarbeiten an der alten Schule im Jahr 1979/80, in der heutigen Form, neu angelegt.

Weilmünsters Schulen von 1593 bis Anfang des 20. Jahrhunderts 

Frei nach den Aufzeichnungen von Robert Dann† – Redigiert von Heribert Domes, 2022

Im 16. Jahrhundert zog der Staat, zur Umsetzung der Reformation, das Vermögen der katholischen Kirche ein. Das Weilmünsterer Kirchenvermögen ging auf die Grafschaft Nassau-Weilburg über. Unter anderem mussten die beiden Altäre St. Sebastian (1480 erwähnt) und der Marienaltar (1536 erwähnt), abgetreten werden. Die Gemeinde Weilmünster bat im Jahr 1547 den Grafen um Überlassung des aus dem genannten Einzug verlorenen  Kirchenvermögens, um mit diesem Geld eine christlich deutsche Schule einzurichten. Außerdem bat im selben Jahr der Pfarrer Otto Urbach um Überlassung eines Ackers zur eigenen Nutzung. Kaspar Goltwurm, der II. Reformator von Nassau-Weilburg, besuchte am 04.01.1548 Weilmünster und schlichtete den Streit des Pfarrers mit seinem Vorgänger sowie mit der Gemeinde. Es verging jedoch fast ein halbes Jahrhundert bis endlich am 12. August 1593 die seit langer Zeit ersehnte Schulgründung in die Tat umgesetzt werden konnte. Mit Beginn des Winterhabjahres 1593 konnte der Schulbetrieb aufgenommen werden. Die Unterrichtsperiode begann am Michaelistag (29. September) und endete am Tag vor Pfingsten des Folgejahres. Zwischen Pfingsten und dem Michaelistag fiel der Unterricht aus, da die Kinder bei der Ernte helfen mussten. In welchen Räumlichkeiten die Schule damals eingerichtet worden war, ist aus der genannten Quelle nicht ersichtlich.

Die Zeichnung von J. Hötzel aus dem Jahr 1959 zeigt Weilmünster um das Jahr 1500. Sie vermittelt uns einen Eindruck, wie Weilmünster damals ausgesehen haben könnte.  Archiv, Heimatverein Weilmünster

Die ersten Lehrkräfte in Weilmünster waren wissenschaftlich vorgebildete Theologen, die außerdem neben dem Schuldienst als zweite Geistliche fungierten. Sie führten den Amtstitel Diakon oder Kaplan und hatten zusätzlich den Gottesdienst in Ernsthausen und den Nachmittagsgottesdienst in Weilmünster zu halten.

Die ersten Lehrkräfte in Weilmünster waren wissenschaftlich vorgebildete Theologen, die außerdem neben dem Schuldienst als zweite Geistliche fungierten. Sie führten den Amtstitel Diakon oder Kaplan und hatten zusätzlich den Gottesdienst in Ernsthausen und den Nachmittagsgottesdienst in Weilmünster zu halten.

Im Jahr 1681 baute der Marktflecken auf der Hunstadt (Hußdett) eine neues Schulgebäude. Es stand auf dem Gelände links vom Bleidenbach, westlich vom später errichteten Geschäftshaus Söhngen. Bis zum Jahr 1683  wurden in Weilmünster die Knaben und die Mädchen gemeinsam unterrichtet. Nach der Fertigstellung der neuen Schule auf der Hußdett im Jahr 1683 erfolgte die Trennung der Schüler in eine Knaben- und eine Mädchenklasse. Die Gründung der Mädchenschule ist auf die Initiative der vornehmen Hüttenherren aus den Familien Sorge, Kraft und Wilhelmi, der Anverwandten oder unmittelbaren Vorfahren des großen Pädagogen Adolf Diesterweg zurückzuführen. Die beiden ersten Mädchenlehrer, die in Weilmünster auch noch nebenbei die Stelle des Amts- und Gerichtsschreibers des Amtes und Gerichtes Weilmünster begleiteten, waren von 1683 bis 1699 der Schneidersohn Peter Mück aus Weilmünster und von 1699 bis 1732 der Förstersohn Philipp Michael Klein aus Lützendorf. Beide waren von Beruf Schneider und gelernte Feldmesser. Ein Beweis dafür, dass man zu dieser Zeit die Mädchenausbildung nicht so wichtig genommen hat. Das kleine Schulhäusel auf der „Hußdett“ beherbergte je eine Knaben- und Mädchenklasse, war jedoch für die sehr schnell wachsende Schülerzahl bald zu klein geworden. 

Amtshaus des Amtes Weilmünster, erbaut im 17. Jahrhundert, 1979/80 in der heutigen  Form restauriert, mit der an der Südostseite befindlichen Erinnerungstafel. Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455422.930 5586823.096Plus Code (Google): 9F2CC9JC+MW

Im 17. Jahrhundert entstand an der Hauptstraße das Amtshaus des Amtes Weilmünster, Sitz eines Oberschultheissen mit Gericht und Gerichtssitz.  Es handelt sich um das Gebäude am heutigen Rathausplatz, das derzeit das Standes- und Bauamt der Gemeindeverwaltung Weilmünster beherbergt und im Volksmund „Alte Schule“ genannt wird. Aus Raumnot im alten Schulhäusel auf der „Hußdett“ verlegte man 1722 die Mädchenklasse in das genannte Amtshaus und ab Herbst 1822 wurde auch die Knabenklasse dort untergebracht. Das Schulhäusel ging später in Privatbesitz über und ist Anfang des 20. Jahrhunderts bei diversen Umbauarbeiten verschwunden.

Der Marktflecken Weilmünster baute etwa um 1800 ein neues Rathaus. Dieses Gebäude wird bis heute von der Gemeindeverwaltung genutzt. Als im Jahre 1849 die Schülerzahl der Knabenklasse auf 95 anstieg, wurde der Klassenraum im früheren Amtshaus zu klein. Deshalb verlegte die Marktgemeinde die Knabenklasse in das obere Stockwerk des neuen Rathausgebäudes und richtete zusätzlich eine 4. Lehrerstelle ein. Diese Klassen- und Lehrerzahlen blieben nun bis zum Jahre 1913 unverändert bestehen.

Die alte Schule am Rathausplatz in Weilmünster war äußerst ärmlich eingerichtet. Sie hatte niedrige, muffige und überfüllte Klassenzimmer die mit meist mehr als 80 Kindern besetzt waren. Noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte Weilmünster den Ruf, baulich die schlechteste Schule im Oberlahnkreis zu besitzen. Es verdient allgemeiner Bewunderung, was die Lehrer der damaligen Zeit unter solchen Verhältnissen geleistet haben. Nicht jeder Lehrer fühlte sich in einem solchen Arbeitsmilieu wohl. Es winkten bereits die vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen neuen Schulpaläste der Großstädte. Außer dem Hauptlehrer Herr Hof gab es damals in Weilmünster keinen Lehrer, der hier mehr als 35 Jahre gewirkt hatte. Sobald sich eine bessere Gelegenheit bot, sind alle Lehrer, außer Herr Hof, der sich durch die Verwandtschaft seiner Frau mit dem Marktflecken verbunden fühlte, von hier weggegangen.

In dem um 1800 erbauten neuen Rathaus zog 1849 im oberen Stockwerk die Knabenklasse der Volksschule Weilmünster ein. Heute wird dieses Gebäude von der Gemeindeverwaltung Weilmünster genutzt – Foto, Archiv Heimatverein -WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455382.799 5586806.31Plus Code (Google): 9F2CC9JC+JP

Durch den Bau einer neuen Schule auf dem gemeindeeigenen Gelände rechts der Weil, gleich oberhalb vom Flecken, auf den sognannten „Weilehecken“, heute ist in diesem Gebäude die Grundschule untergebracht, hatte 1913/14 der damalige Bürgermeister Herr Phillip Heinrich Klein die Voraussetzungen geschaffen, dass die Schule Weilmünster in den 1920er Jahren, wie alle anderen Schulen im Land, erfolgreich an allen pädagogischen Neuerungen teilnehmen konnte. Nur in einem Punkt war die Schule Weilmünster der Weilburger Stadtschule noch nicht ebenbürtig. Weilburg hatte damals schon für seine Volks- und Töchterschule gemeinsam eine vollausgebildete technische Lehrerin. Als in der Schulvorstandssitzung am 17. Juli 1920 Schulrat Spahn dem Schulvorstand Weilmünster den Vorschlag unterbreitete, auch hier im Marktflecken eine technische Lehrerin anzustellen, stieß er auf den erbitterten Widerstand einzelner Gemeinderatsmitglieder. Einer von ihnen, ein Angehöriger einer „Freien Wählergemeinschaft“, stellte sogar in diesem Zusammenhang die Behauptung auf, dass 3 Strickfrauen diese Arbeit genauso gut, aber billiger machen könnten. Für viele in unserer ländlichen Gegend war damals die Schule noch ein notwendiges Übel und eine bessere Schulbildung ihrer Kinder noch eine reine Privatsache der Eltern. Es musste noch ein ganzes Jahrzehnt vergehen, bis man auch in Weilmünster für diesen Fortschritt reif geworden war.

Die neue Schule an der Weilstraße, Teil 1 von 2, von 1913 bis 1945

Von Rudi Czech† anlässlich der 100 Jahrfeier der Grundschule Weilmünster am 20.06.2015 verfasst und  ergänzt aus den Aufzeichnungen von Robert Dann† - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Unsere Schule ist 100 Jahre alt, und sie bekam allerhand in dieser Zeit aufgebürdet. Zwei Weltkriege, Inflation, Lebensmittelmangel, Geldentwertung, politische Kapriolen und sonstige Schicksalsschläge haben sie begleitet, und wie ich glaube, hat sie das mit Bravour überstanden.

Die Schulsituation in Weilmünster war um die Jahrhundertwende vom 19. in das 20. Jahrhundert mehr als brenzlich geworden. Die Klassenzimmer in den beiden Schulhäusern am damaligen Marktplatz, heute Rathausplatz, (in diesen beiden Häuser ist nach entsprechender Sanierung heute die Gemeindeverwaltung untergebracht), waren dunkel und unhygienisch, von qualmenden Petroleumlampen mühsam erleuchtet, mit mehr als 300 Kindern dicht besetzt, von 4 Lehrern in einer pädagogischen Meisterleistung in der Schrift, der Kunst des Lesens und Schreibens, dem 1x1, den geforderten kirchlichen Aufgaben in einer oft stickigen Atmosphäre, vertraut gemacht.

Es musste etwas geschehen, und so blieb der Gemeinde trotz des hohen Geldbedarfs keine andere Wahl, als ein neues Schulhaus zu bauen. Rechts der Weil, oberhalb des Viehmarktes, besaß der Flecken Grund und Boden, der durch einige Zukäufe vergrößert werden konnte. Der Standort neben dem zuvor gebauten Pfarrhaus war genau der richtige Platz. 

1913 ging es los, und es wurde ein solider, von guter Handwerkskunst errichteter Neubau, der trotz des von kaiserlich-königlichen Übeltätern losgetretenen Weltkrieges stattlich, solide und zweckentsprechend gelang.

Wegen des Krieges fand die Einweihungsfeier am 07. Januar 1915, recht bescheiden gehalten aus. Trotzdem gab es für die Schulkinder einen Weck und für den Schulvorstand und die Gäste im Gasthaus Ernst Jung Kaffee.  

105.315,65 Mark einschließlich der Badeanlagen im Keller, Schuldiener-Wohnung, Toilettenanlagen, Koks- und Kohleheizung, Haushaltslehrküche, Musik- und Zeichensaal, hatte der stattliche Bau gekostet, wovon die Gemeinde Weilmünster ein Drittel der Bausumme stemmen musste. 337 Schüler versammelten sich nun in den neuen, hellen, großräumigen Klassenräumen und wurden von 4 Lehrern unterrichtet. Zwei weitere vorgesehene Pädagogen waren bereits im Krieg an der Front.

Das 1915 in Betrieb genommene Schulhaus auf den Weilehecken Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455920.601 5586735.851Plus Code (Google): 9F2CC9JH+9P

Die Kinder hatten in dieser Zeit neben der schulischen Unterweisung viele andere Aufgaben zu übernehmen wie zum Beispiel: 1915 sammelten sie eine Menge Eicheln und Bucheckern, 83 kg Lindensamen, 98 kg Ahornsamen, 117 kg Kastanien und Sonnenblumenkerne, 2 Wagenladungen Radreifen und Gummi, jede Menge Himbeeren, die von den Lehrersfrauen zu Saft verkocht und ins Lazarett der Anstalt gebracht wurde. Ja selbst Gold im Wert von 1500 Reichsmark konnten die Kinder erbetteln; doch auch die Lehrerschaft vermochte die Eltern und Verwandten der Schüler zur Zeichnung von Kriegsanleihen überreden, so dass auf diese Weise recht erhebliche Summen zusammenkamen um dem Krieg, letztlich vergeblich, auf die Sprünge zu helfen.

Nach der großen Völkerschlacht folgte eine Zeit der politischen Wirrnisse, die Schule war sogar geräumt und dann vom Soldatenrat besetzt worden. Ein Umstand, der den Schülern durchaus in den Kram passte, doch bald bekam die Schulobrigkeit die Sache wieder in den Griff, die Lehrer an die Katheder und die Schülerschar in die Bänke.

Zucht und Ordnung beherrschte die mehr oder weniger Lernenden, nicht zuletzt durch gestrenge Züchtigungsmöglichkeiten, wenn die Taten der Schüler aus dem Ruder liefen, zureden und Ermahnungen nicht mehr halfen und nur der Stock oder Riemen sowie die ausrutschende Hand erzieherischen Erfolg versprachen. Die „Schandtaten“ der Kinder wurden sogar sorgfältig aufgezeichnet und von Zeit zu Zeit vom Schulinspektor, oftmals waren es die ortsansässigen Pfarrer, durch Unterschrift pflichtgemäß gutgeheißen.

Ab 1933 gebärdete sich die Schule dem neuen Regime entsprechend rassisch deutsch, die Parteiobrigkeit beherrschte die Erziehungsordnung, die auch die Lehrerschaft großenteils in ihren Bann zog. Doch schon bald, aller äußerlichen tausendjährigen Herrlichkeit zum Trotz brach ein neuer Krieg aus, der zunächst bejubelt, dann erduldet und am Ende wahnsinnige Schrecklichkeiten offenlegte.

Im April 1945, kurze Zeit vor dem Kriegsende, zogen die siegreichen Amerikaner in Weilmünster ein und besetzten auch die Schulgebäude, und viele Schüler hatten nun Gelegenheit um „chewing gum und chocolate“ zu bitten.

Jahrgang 1919 und 1920 im Eingangsbereich der 1915 in Betrieb genommenen neuen Schule.Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster1. Reihe von links: Ella Schäfer, Lotte Schäfer,. Erna Rack,. (verdeckt) Schuldiener Heller, Irmgard Siebenlist, Herta Bonnkirch, Elli Weil, Else Völpel, Else Heilmann, Linchen Möller,. Meta Hardt,. Gertrud Ketter, Marga Paul2. Reihe von links: Hedwig Albishausen, Else Lommel, Helga Römermann, Luise Priester. Bienchen Fey, Tilly Haibach, Elisabeth Haibach, Adele Böhmer, Erika Dauer, Friedchen Paul, Margareth Brüttig, Lehrer Gräf3. Reihe von links: Handarbeitslehrerin Frau Hirschhäuser, Walter Bonnkirch, Robert Schäfer, Erich Bausch, Helmut Velten, Wilhelm Fey, Richard Schwarz, Albert Dietzel, Karl Nehl, Herbert Velte, Martha Radu4. Reihe von links: Albert Pfeiffer, Karl Schäfer, Anni Bluz, Johanna Seibel, Erika Wagner, Martha Völpel,. Elli Schmidt, Ilse Krüger, Lina Weil, Lotte Haubrich, Herta Bandorf, Paula Velten, Hermann Kunkler5. Reihe von links: Alfred Jost, Karl Held, Willi Möller, Helmut Siebenlist, Walter Becker, Richard Schäfer, Karl Kring, Willi Metzler, Willi Dietzel

Schon bald bekam die neue Obrigkeit den Betrieb in den Griff, und die Schule füllte sich mit mehr oder weniger wissbegierigen Kindern. Lehrer Mössinger trat vor seine Klasse und sagte: „Also Kinder, wir haben jetzt Demokratie, und das müssen wir lernen, so wird alles ganz anders“! – So war es auch, allmählich kehrten die früheren Lehrer in den Schuldienst zurück und neue Lehrkräfte kamen hinzu. Auf diese Weise hat man das Schulschiff wieder flottgemacht und in friedliche Gewässer geleitet.

Die neue Schule an der Weilstraße, Teil 2 von 2, von 1945 bis 2022

Von Rudi Czech† anlässlich der 100 Jahrfeier der Grundschule Weilmünster am 20.06.2015 verfasst und  ergänzt aus den Aufzeichnungen von Robert Dann† - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Nach dem Krieg hatte sich die Weilmünsterer Bevölkerung zahlenmäßig verdoppelt. Viele Heimatvertriebene und Flüchtlinge brauchten nicht nur Wohnraum und Lebensperspektiven, sondern für ihre zahlreichen Kinder auch Ausbildungsmöglichkeiten. Die Volksschule Weilmünster wurde achtklassig und so war es unumgänglich, 1951 einen Schulneubau in Angriff zu nehmen. Zwei Jahre später stand direkt neben dem 1915 in Betrieb genommenen Schulhaus an der Weilstraße, ein schönes neues Haus mit 8 Klassenzimmern und weiteren Funktionsräumen bezugsfertig, lichtdurchflutet und bestens geeignet Wissen zu vermitteln.

Vorerst wirkte noch eine größere Zahl Schulhelfer und Lehramtsanwärter an der Schule. Allmählich entstand bei der Schulleitung und der Schulaufsichtsbehörde die Absicht diese Stellen mit älteren und erfahreneren Lehrern zu besetzen. Durch diese Aktion kamen 1947 Karl Groß aus Möhnstadt, 1948 Robert Dann von Aulenhausen, 1949 Elisabeth Schweiger von Weinbach und Anna Deuse aus Möttau nach Weilmünster. Als technische Lehrkraft war Katharina Velte tätig, die ihrer erkrankten Schwester Frida Peters folgte. Weiterhin kamen 1953 Kurt Böhm aus Lützendorf, Karlheinz Lang aus Frankfurt/Main und Georg Schmidt von Löhnberg, 1956 Werner Mrose aus Sinn, 1957 Irmgard Stahl von Langenbach, Irmtraut Metzler von Dillhausen und im Jahr 1958 Konrad Röglin von Allendorf an der Ulm an die  Schule an der Weilstraße.

Richtfest der 1951 erbauten Schule, die neben dem 1915 erbauten Schulgebäude an der Weilstraße, errichtet wurde.UTM Koordinaten: 32U 455920.601 5586735.851Plus Code (Google): 9F2CC9JH+9P

Herrn Albert Selzer, seit 1943 Rektor der Volksschule Weilmünster,  war es mit viel Geschick gelungen, ab dem Jahr 1953 für Weilmünster die Errichtung eines Realschulzweiges zu erreichen. Dies war für Herrn Selzer nicht leicht, da es in jener Zeit im Oberlahnkreis noch Kräfte gab, die um die Monopolstellung Weilburgs als Schulstadt bangten. Zwei Tatsachen haben damals die Errichtung eines Realschulzweiges ermöglicht. Es waren erstens die guten Beziehungen von Herrn Selzer nach Wiesbaden, er war Bezirksvorsitzender der G.E.W. im Regierungsbezirk Wiesbaden und zweitens war es dem Idealismus des damaligen Lehrerkollegiums von Weilmünster zu verdanken, dass freiwillig ein Jahr lang 34 Wochenstunden unterrichtete. Auf diese Weise bekam das Landkind in der Südosthälfte des Oberlahnkreises endlich die gleichen Bildungschancen wie das Großstadtkind. Unter Rektor Selzers Leitung wurde die Schule Weilmünster auf- und ausgebaut.

Den Real und Mittelschulen fehlte in dieser Zeit die Tradition. Viele Leute wussten nicht was sie mit diesem Reifezeugnis anfangen sollten. Rektor Selzer wurde im Frühjahr 1959 pensioniert. Zu dieser Zeit hatte die Volks- und Realschule Weilmünster einen sehr hohen Leistungsstand erreicht. Gemeinsam mit Herrn Selzer ist auch der Konrektor Emil Micus aus gesundheitlichen Gründen damals pensioniert worden.

Konrektor wurde jetzt Herr Karl Groß, und die freie Schulleiterstelle hatte man dem 34-jährigen Mittelschullehrer Herrn Horst Schlegel, der aus Zwingenberg an der Bergstraße kam, übertragen. Er brachte neue Ideen nach Weilmünster.

Nach und nach wurden aus unterschiedlichen Gründen die Dorfschulen der umliegenden Gemeinden aufgelöst. Aus 15 Orten mussten nun die Kinder in die Schule nach Weilmünster gehen. Um der dadurch bedingten Schulraumnot vorzubeugen, hat man in den Sommerferien 1964 drei Schulpavillons mit zusammen sechs Klassenräumen errichtet. 

Zunehmend änderten sich die Formen des Lehrauftrages gravierend. Als 1971 Weilmünster mit seinen 11 Ortsteilen zur Großgemeinde zusammengefasst, deren Dorfschulen aufgelöst, Kinder und Lehrer in einem gewaltigen Kraftakt in der Kerngemeinde Weilmünster stationiert waren, musste auch neuer Schulraum geschaffen werden. In dieser Zeit entstanden am linken Ufer der Weil, auf dem früheren Fußballplatz und dem Standorte der Dreschhalle, großzügige neue Schulgebäude im modernen Beton-Fertigbauteil-Stil. Allerdings hatte diese neue Bauweise mit der alten Handwerkskunst wenig zu tun. So waren viele Nachbesserungen nötig, um für den Schulbetrieb voll einsatzfähig zu sein. Es dauerte eben seine Zeit bis die Flegeljahre der neuartigen Beton-Bauelemente überwunden waren.

Unsere Grundschule mit den zwei Schulgebäuden, fertiggestellt 1915 und 1953, wurde nun zu einer selbständigen Einheit, erfolgreich bestrebt Grundlagen zu schaffen um das geistige und körperliche Weiterkommen der Schüler zu fördern. Ein Stab guter Pädagogen, teils bestens erprobt und erfahren aus ihrer Dorfschulzeit, taten ihren Dienst. Rektor Gerhard Lang führte 1973 die Kollegenschaft an, um Wissen und Lebensart erfolgreich und nachhaltig zu vermitteln. 

1983 wird eine sehr schöne und zweckmäßige Turnhalle gebaut, die nicht nur der sportlichen Beweglichkeit, sondern auch als Aula den Schülern dient und zu Einschulungszeiten und festlichen Ereignissen bestens genutzt werden kann. 

Ständig änderte sich etwas im Leitungsgefüge. Als kommissarischer Konrektor ist Herr Horst Ebel erfolgreich tätig, als Herr Franz Matzeck 1989 - 1999 die Schulleitung übernimmt und nach 10 Jahren auf eine gute Zeit zufrieden zurückblicken kann.

Das Lehrerkollegium der Volks und Realschule Weilmünster, Aufnahme 1962Stehend von links: N. Ernst, Werner Mrose, Katharina Velte, Konrad Röglin, Herrmann Faber, N. Schulz, Kurt Böhm, Horst Schlegel, Karlheinz Lang, Ulrike Türk, Josef Kubeck, Irmgard Stahl, N. Redlich, Karl Groß, Rosemarie Rigol und N. Petry.Sitzend von links: Robert Dann, Anna Deuse und Georg Schmidt

1999 gelingt es dem ehrgeizigen Weilmünsterer Ortsteil Laubuseschbach ein neues Schulgebäude als Dorfschule für die Klassen 1 bis 4 zu bekommen. Das Rektorat und die Lehrkräfte werden von der Grundschule Weilmünster gestellt. 2004 wird die Vollkommenheit der Schul-Zweigstelle Laubuseschbach mit der Inbetriebnahme einer eigenen Turnhalle erreicht. 

An der Grundschule Weilmünster erweist sich die Errichtung eines Hauses der Betreuung mit integrierter Mensa als etwas völlig Neues. Dieses Haus ist hilfreich, leibliche Notwendigkeiten, Hausaufgabenhilfen, sinnreiche Beschäftigungsaktivitäten und die Beaufsichtigung der Kinder berufstätiger Eltern zu garantieren.

Auch der große Schulhof erhält ein neues Gesicht. Dank rühriger, selbstloser Eltern- und Lehrerinitiativen wurden diverse Spielplätze und Spielgeräte im Design der fünf Kontinente geschaffen, die von den Kindern gern und rege angenommen und genutzt werden.

Ab dem Jahr 2000, zunächst kommissarisch, von 2001 an als neue Rektorin, übernimmt Frau Hedwig Thum als erste Frau in der Geschichte der Grundschule Weilmünster die Schulleitung. Sie meistert bestens unterstützt durch die Konrektorin Frau Sonja Brenner ihre Aufgaben mit Charme, Können und  Freundlichkeit an der Spitze einer Heerschar weiblicher Lehrkräfte, in der gelegentlich auch einmal ein männlicher Lehrer zu finden ist. Dieses Lehrerkollegium arbeitet in einer sehr harmonischen Weise zusammen, um die vielen pädagogischen und organisatorischen Anforderungen  zu bewältigen, so dass stets die Gewissheit vorhanden ist, unsere Schule ist in besten Händen auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft.  

Das Schwimm- und Volksbad Weilmünster - Eine Perle in der Geschichte des Verkehrs- und Verschönerungsvereins – Teil 1

Von Rudi Czech, ergänzt aus Artikeln, erschienen im Weilburger Tageblatt und den Weilmünsterer Nachrichten.   Redigiert von Heribert Domes 2022

Wer auch immer zum ersten Mal Gedanken an ein Schwimmbad im Marktflecken äußerte ist nicht überliefert, aber mit ziemlicher Sicherheit dürfte sich diese Idee entwickelt haben, als der Turnverein Weilmünster 03 und die Gesangvereine „Uhland“ und „Echo“ unter großer Beteiligung der nahezu gesamten Bevölkerung des Marktfleckens im Freilichttheater am Hohenstein den „Schinderhannes“ und den „Andreas Hofer“ mit außerordentlichem Erfolg und landesweitem Zuspruch aufführten. 

Die Eisenbahn karrte Tausende von Besuchern, trotz grassierender Weltwirtschaftskriese am Anfang der 1930er Jahre in den Steinbuch von Weilmünster, um den Streichen und Spielen des räuberischen „Volkshelden“ zuzusehen, dem Märchen „Raub bei den Reichen zur Rettung der Armen“ zu lauschen. Diese vielen Zuschauer füllten bei 50 Pfennig Eintrittsgeld nicht nur die Kassen der Veranstalter, sondern machten auch Weilmünster weiter und breiter bekannt als bisher und so lag der Gedanke nahe, den Marktflecken zum Erholungsort schlechthin, also zum „Tourismus-Highlight“ zu entwickeln, wozu ein Schwimmbad erheblich beitragen könnte.

Im Protokollbuch des Verschönerungsvereins taucht am 03.10.1932 der Eintrag auf, „Vorarbeiten für die Errichtung eines Schwimm- und Volksbades“, sowie die Bitte des Arztes Dr. Auler, weitere Ruhebänke aufzustellen und dass der Verein Sorge tragen möge, zur Verbesserung des Ortsbildes die vielen alten Fachwerkhäuser freizulegen und nicht einfach mit Putz zu überdecken. Darüber hinaus wird, um die neue Weltoffenheit des Fleckens zu beweisen, durch den Postbeamten Cäsar, im Namen des Vereins bei der Oberpostdirektion der Antrag gestellt, z. B. einen Bahnhofsbriefkasten anzubringen und auch sonntags die Kastenleerung nicht mehr durch das Postamt Weilburg, sondern von dem inzwischen weitbekanntem Weilmünsterer Beamten vornehmen zu lassen. Ein Erfolg dieser Bitte wird nicht protokolliert.

Es soll aber mitgeteilt werden, wer sich nun intensiv und eifrig um die Schwimmbaderrichtung zu kümmern hatte, nämlich der 1. Vorsitzende Schmidt, der 2. Vorsitzende Hermann Kohl, die Herren R. Loew, Cäsar, Priester, Pletz, Müller, Erbe, Wagner und Nies, denn noch immer ist unklar, wo dieses projektierte Volksbad eigentlich seinen Platz finden soll. Eine Anfrage bei der Gemeinde, wie sie zu dieser Angelegenheit stünde, mündet in der Aussage, dass „der Verein“  keine große Hilfe zu erwarten habe, aber ein passendes Grundstück bei der Prösermühle zur Verfügung gestellt werden könne, für den Erwerb weiteren Geländes aber der Verein selbst zu sorgen habe.

Bürgermeister Müller (SPD 1926-33) wird beauftragt, mit dem Besitzer des angrenzenden Grundstücks, dem Landwirt Fritz Metzler, zu sprechen, und so kommt ein recht merkwürdiger Handel zustande. Der gute Fritz verkauft seine Wiese mit Baumbestand an den Gastwirt und Metzger Hermann Eppstein zum Preis von 500 RM für die Liegenschaft, zuzüglich 250 RM für die ertragreichen Obstbäume.

So ganz selbstlos ist diese Transaktion natürlich nicht, denn der Hermann Eppstein erwirbt damit das Recht, im Schwimmbad das evtl. in den Wintermonaten anfallende Eis zu brechen und zu ernten, für einen Betrieb seiner Art eine absolute Notwendigkeit, um Bier, Fleischwurst und Koteletts frisch zu halten. Der Gesundheitsbewahrer des Fleckens, Landarzt Dr. Auler, macht ordentlich Dampf und spendiert schon mal 1.500 RM als Startgeld, sicherlich in der Hoffnung, dass sich da weitere Geburtshelfer finden würden.

Beflügelt durch die 1933 geänderte politische Konstellation wird das Arbeitsamt angeschrieben, das allerdings mitteilt, für Schwimmbäder oder ähnliche Träume stehe kein Geld zur Verfügung, und auch der ortsansässige Arbeitsdienst hält andere Arbeitseinsätze für wichtiger. Trotzdem stellt der Verschönerungsverein seine Habenseite auf und registriert das von Dr. Auler 1.500 RM, vom Turnverein 500 RM und von der Gemeinde 250 RM zu Buche stehen und die fehlenden 750 RM durch Spenden der Mitglieder aufgebracht werden könnten. Das hört sich gut an, und der Auftrag wird ausgeschrieben. Der Bauunternehmer Franz Jung erhält den Zuschlag, für 4.091,47 RM das Freibad zu errichten.

Mit „Hack und Schipp“ wird das große Loch gegraben und sogar, wahrscheinlich weil es so gut flutschte, um 5 Meter auf 40 m verlängert. Für den Ausbau verwendete man Eichenholz, dass von der Gemeinde zu moderaten Preisen erworben und fachmännisch zu Wänden, Böden, Treppen und Trenngittern verbaut wurde. Natürlich soll auch ein ansehnliches Badehaus entstehen, eine Klosettanlage nach einem Plan von Franz Dienst, Blumenhof, sowie eine solide Einfriedung war vorgesehen, die allerdings nicht mehr bis zur Einweihung am 03. Juni 1934 fertiggestellt werden konnte. Trotzdem sieht alles schon recht ordentlich aus und so werden die Eintrittspreise festgelegt und ein Bademeister gesucht. Das Auge des Vereins fällt auf den Schuhmacher Adolf Janz, dem 40 Mark Entlohnung zugesagt werden, der aber in dieser kurzen Zeit nicht mehr schwimmen lernen kann und deshalb auf diesen Posten verzichten muss. Dessen ungeachtet wird eifrig auf die Fertigstellung hingearbeitet, Freibadnutzungsregeln formuliert, eine attraktive Fahne soll angeschafft werden – nicht verwunderlich in dieser fahnenverrückten Zeit, die aufgezogen die Öffnung des Bades anzeigt, falls eingezogen der Zugang verboten ist und bei Nichtbeachtung dieser Fahnenwinke eine Bestrafung droht. Zur Kontrolle dieser Maßnahmen sind jeweils zwei Vereinsmitglieder verpflichtet, die nach alphabetischer Reihenfolge anzutreten haben.

 Das am 03. Juni 1934 in  Betrieb genommene Schwimm- und Volksbad im Bleidenbachtal neben der Prösermühle.Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster  UTM Koordinaten: 32U 455115.294 5586244.796Plus Code (Google): 9F2CC9G9+J6

Am 03. Juni 1934 ist es soweit; das Volksbad wird, obwohl es noch nicht ganz fertig ist, feierlich mit einem tollen Programm eingeweiht. Etliche hundert Schaulustige nehmen daran teil, genießen den Eröffnungsgesang des Chores „Uhland“, lauschen den gehaltvollen Ansprachen von Bürgermeister Färber und von Hauptlehrer Hein; sodann stürzen sich endlich die Wettschwimmer in das kühle, dunkle Nass, begeistert umjubelt von den Zuschauern, erschrocken beäugt von den zahlreichen Kaulquappen, die sich bislang im „gesunden“ Bleidenbachwasser wohlgefühlt haben. Begleitet werden die sportlichen Leistungen von den verschiedenen Volksbelustigungen. Eine 8 Mann starke Musikkapelle spielte im großen Zelt, welches am Rande des Beckens errichtet wurde, zum Tanz auf und noch lange klangen die „Proste“ und das Hurrageschrei durch das nun illustre Bleidenbachtal

Der Vorstand des Verschönerungsvereins zieht jetzt eine erste Bilanz und stellt fest, dass der Schwimmbadbau 9.524,99 RM gekostet hat, allerdings sein Schuldenberg auf 6.075,59 RM angewachsen ist, der durch die Erhöhung des Eintrittspreises von 0,75 RM auf eine Reichsmark und eine Sammlung bei den Mitgliedern abgetragen werden soll, was allerdings zu keinem Zeitpunkt gelingt. Das Schwimm- und Volksbad ist durchaus ein schöner, attraktiver und beliebter Fleck, wo neben den sportlichen und gesundheitlichen Möglichkeiten der gesellschaftliche Umgang nicht vergessen werden sollte. Die erregende Atmosphäre bei herrlichem Sonnenschein hat sicherlich oft dazu beigetragen, dass sich Männlein und Weiblein verschämt oder ungezwungen näher kommen konnten, was wohl öfters nicht ohne Folgen blieb.

Natürlich wurde auch die Einrichtung des Bades ständig verbessert und erweitert, eine „Solardusche“ (ein schwarz gestrichenes Gefäß mit Wasser gefüllt, von der Sonne erwärmt und auf ein Holzgestell montiert) war die Brause, ein Sprungbrett dient als hervorragende Bühne für sportliche Mutproben, ja sogar eine Rutsche wurde gebaut, zunächst mit Linoleum, später mit Blech belegt, war sie ein Gipfel der Lustbarkeiten.

Das Schwimmbad hat unbeschadet die Kriegszeit überstanden, blieb bis zum heutigen Tage ein sommerlicher Treffpunkt. Allerdings war der Verkehrs- und Verschönerungsverein nicht mehr in der Lage es zu betreiben und zu unterhalten, und so übernahm notgedrungen die Gemeinde Weilmünster ab 1955 die Regie. Der Verein darf aber ungeschmälert stolz sein, so eine schöne Anlage trotz vieler Schwierigkeiten geschaffen zu haben.

Das Schwimm- und Volksbad Weilmünster - Eine Perle in der Geschichte des Verkehrs- und Verschönerungsvereins – Teil 2

Von Rudi Czech, ergänzt aus Artikeln, erschienen im Weilburger Tageblatt und den Weilmünsterer Nachrichten   Redigiert von Heribert Domes 2022

Anfang der 1960er Jahre sanierte die Gemeinde Weilmünster das Schwimmbad im Bleidenbachtal in zwei Bauabschnitten. Im ersten Bauabschnitt wurde das Schwimmbecken völlig überholt, es entstand ein ansehnliches Betonbecken, so dass auch zukünftig Wettkämpfe hier ausgetragen werden konnten, und die kleinen Badegäste erhielten ein rundes Planschbecken. Die Gemeinde kaufte die angrenzenden Wiesen auf und richtete sie als Liegewiesen ein. Die Investitionssumme betrug damals 100.000 DM.

Im Jahr 1963 stand der zweite Bauabschnitt an, der zunächst die Modernisierungsmaßnahmen abschließen sollte. Das Bad erhielt neue Umkleideräume, Duschen, sanitäre Anlagen sowie Geräteräume. Diese Bauarbeiten wurden mitten im Sommer durchgeführt, während viele badefreudige Besucher trotz der noch laufenden Arbeiten das Bad nutzen konnten. Erst ein Jahr später, während der Badesaison 1964 konnten die Besucher sämtliche Einrichtungen nutzen. Der vom Kreisbauamt ausgearbeitete Umbauplan berücksichtigte weitgehend die Absicht der Gemeinde Weilmünster, mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst hohen Nutzen zu erreichen. 

Das Freibad im Bleidenbachtal nach der SanierungFoto aus dem Jahr 1967, Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455115.294 5586244.796Plus Code (Google): 9F2CC9G9+J6

Für uns klingt es heute sonderbar, dass nach Abschluss der Umbauarbeiten damals nur eine Person benötigt wurde, die den Eintrittskartenverkauf und die Beaufsichtigung der im Wasser und auf den Liegewiesen verweilenden Badegäste ausgeführt hat. Wie hat sich doch die Zeit in wenigen Jahren verändert.

Als letzte Aufgabe blieb der Gemeinde der Einbau einer Umwälzanlage, wie sie damals schon für alle Schwimmbäder gefordert wurde. Die dafür notwendige Investition von 50.000 DM stand leider nicht zur Verfügung, da andere dringende Aufgaben im Flecken zu bewältigen waren. Das Bad wurde zu dieser Zeit weiterhin aus dem frischen Wasser des Bleidenbaches gespeist. Eine Verseuchung durch Bakterien war nicht zu befürchtet, da man vorsorglich das Badewasser regelmäßig mit Chlor desinfizierte. 

Der Leser stelle sich vor, in den 1960er Jahren gab es in der Gemeinde Weilmünster sowie in den umliegenden Orten noch keine Kläranlagen. Die Abwässer der einzelnen Häuser wurde damals in den jeweils zu den Gebäuden gehörenden zwei- bis vierkammerigen Dekantierbecken (Buddelkaut) durch Sedimentation vorgeklärt und der Überlauf floss in die jeweiligen Bachgewässer. Jährlich einmal kam, von der Gemeinde beauftragt, die Fa. Bördner aus Laubuseschbach, um auf Kosten der Hauseigentümer das Sediment aus diesen im Boden der Hof- oder Vorgartenflächen befindlichen Betonbehälter zu entleeren. 

Die Natur des Bleidenbaches übernahm die Aufgabe, die möglicherweise noch vorhandenen Verunreinigungen so aufzubereiten, dass das Schwimmbecken mit einem nutzbaren Badewasser befüllt werden konnte. Wir erinnern uns an das damalige Badewasser, eine dunkle, olivgrüne Flüssigkeit, die notwendigerweise während der Badesaison etwa alle zwei bis drei Wochen abgelassen werden musste damit der Bleidenbach erneut sein frisches Wasser zur Neubefüllung des Schwimmbeckens spenden konnte, was etwa 4 Tage Badepause bedeutete. Wir alle haben dieses Bad mit Freuden benutzt, es hat uns nicht geschadet.

Die Bademeister des Freibades Weilmünster, von linksHeinz Bürger, Jahrgang 1928, von 1971 – 1973Rudi Czech, Jahrgang 1926, von 1976 - 1989Adolf Janz, Jahrgang 1899, 1934 als Bademeister vorgesehen, er war leider NichtschwimmerWilli Weil, Jahrgang 1905, von 1956 – 1970Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster

Während der schönen Sommertage übernahmen die Sonnenstrahlen die Aufgabe das Badewasser auf eine erfrischende Temperatur zu erwärmen, was aber nur im begrenzten Umfang gelang. Zu dieser Zeit gab es selten Sommertage die das Thermometer auf über 30 Grad steigen ließ. Dieser Umstand war ein Segen für die Wasserqualität des Freibades, da bei den recht niedrigen Temperauren die Bakterienvermehrung im Badewasser recht langsam voranschritt.

Einige Jahre später baute die Gemeinde Weilmünster eine moderne Umwälzanlage zur Badewasserreinigung ein und die kostenlosen Wasserlieferungen des Bleidenbaches waren Vergangenheit. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, ein gasklares, durch den wolkenlosen Himmel blau erscheinendes Badewasser erfreute die Besucher. Da das Wasser nun kontinuierlich gereinigt werden konnte gab es auch keine Unterbrechung der Badesaison mehr, und die Wassertemperaturen stiegen während der Saison kontinuierlich auf für die Badegäste angenehmen Temperaturen an.  

1999 wird das Schwimmbad Weilmünster komplett saniert

Bereits Ende der 1980er Jahre besteht für das Freibad im Bleidenbachtal ein erheblicher Sanierungsbedarf, der in dieser Zeit jährlich spürbar zugenommen hat. Nach 35 Jahren war eine umfassende Sanierung unvermeidbar um das Bad für die Zukunft weiter zu erhalten. Eine gebildete Schwimmbadkommission fand ein Umbau- und Sanierungskonzept, dass den Aspekt der Wirtschaftlichkeit und der sozialen Funktion des Bades als Treffpunkt für die heimische Bevölkerung sowie der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinde gerecht wurde.

Erfreulich war, dass die vorgelegten Planungen der Sanierungsmaßnahme von allen politischen Gremien und Fraktionen sowie dem Ortsbeirat uneingeschränkt mitgetragen wurden. Da das bisherige Beton-Schwimmbecken instabil geworden war, mussten 32 Bohrpfähle von je etwa 14 m Länge in den Boden bis auf den tragfähigen Felsuntergrund getrieben werden um zukünftig Setzungen des Beckens zu vermeiden. Es entstand eine behindertengerechte Badeanlage ohne Stufen zwischen dem Eingangsbereich und dem Badebecken. 

Das 40 m Becken wird durch eine als Liegedeck nutzbare Insel in Nichtschwimmer und Schwimmerbecken mit Durchschwimmkanal funktionell geteilt. Die Wasserfläche des neuen Edelstahlbeckens beträgt heute ca. 500 m². In dieser Wasserfläche sind Massagedüsen, 2 Wasserspeier als Nackenmassage und ein Bodenblubber als Attraktion integriert. Zwischen Schwimmbecken und Böschung des ehemaligen Bahndammes wurde eine 35 m lange Riesenrutsche mit separatem Ladebecken als Hangrutsche installiert, die teilweise als erdüberdeckter Tunnel ausgeführt ist. Das Kinderbecken mit einer Wasserfläche von ca. 75 m² erhielt drei höhenversetzte Becken, wovon zwei mit einer Wasserrutsche verbunden sind.

Durch diese Sanierungsmaßnahmen erhielt die Gemeinde Weilmünster mit ihren umliegenden Ortschaften ein attraktives Freibad in dem sich Jung und Alt in den Sommermonaten erholen kann. Das Schwimmbecken erhielt unter geringer Veränderung der äußeren Form eine Edelstahlauskleidung und eine neue kostensparende Wassertechnik. Der Einsatz modernster Solartechnologie ist heute Beitrag zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Freibades.

Der Felsenkeller am Kirberg

Erzählt von Herbert Köster, 2021Redigiert von Heribert Domes, 2021

Vom Kirbergturm aus hat der Besucher des Marktfleckens Weilmünster einen ausgezeichneten Panoramablick über die Marktgemeinde. Von hier aus ist im Osten die 1898 in Betrieb genommene  Heil und Pflegeanstalt Weilmünster (Vitos) zu sehen und der Blick schweift über die seit den 1950er Jahren kontinuierlich gewachsene Bebauung rechts der Weil, den alten Ortskern mit der historischen Steinkirche, Ende des 13. Jahrhunderts anstelle einer Holzkirche erbaut, bis ins untere Weiltal mit den zur Großgemeinde Weilmünster gehörenden Ortsteilen Lützendorf und Ernsthausen und am Horizont sind sogar Teile der Stadt Weilburg zu erkennen.

Geht der Sparziergänger vom  Buttermarkt den Fahrweg „Am Kirberg“ in Richtung Hessenstraße hinauf, so fällt auf der linken Seite, wenige Meter vor dem Kirbergturm, ein mit einem schmiedeeisernen Tor gesichertes Kellergewölbe auf, welches in letzter Zeit durch Mitarbeiter des Bauhofs der Gemeinde Weilmünster einen neuen Schutzanstrich erhalten hat.

Der Felsenkeller am Kirberg mit dem von Mitarbeitern des Bauhofes der Gemeinde Weilmünster mit einem neuen Schutzanstrich versehenen Sicherungstor.Bild: Gemeinde WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455478.671 5586720.211Plus Code (Google): 9F2CC9JF+87
Der Fahrweg Am Kirberg um 1950Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 455609.711 5586651.609Plus Code (Google): 9F2CC9JG+32

Seit dem 16. Jahrhundert wurde in Weilmünster Bier gebraut. Der Braumeister Christian Vonhausen, Urgroßvater von Herbert Köster, errichtete 1880 an der heutigen Kreuzung Hauptstraße und Am Bleidenbach, gegenüber der damaligen Poststation der „Königlichen Schwedenpost“, heute Bürgerhaus Weilmünster, ein neues Braugebäude. Es handelt sich um das heute noch genutzte Backstein-Eckhaus.

Zu dieser Zeit gab es in Weimünster noch keinen elektrischen Strom mit dem man wie heute das Bier kühlen und ausreichend lang hätte lagern können. Unsere Vorfahren nutzten aus diesem Grund die von der Natur gegebenen Möglichkeiten um dem begehrten Getränk auch in den Sommerzeiten die richtige Trinktemperatur zu verleihen. Aus diesem Grund grub Christin Vonhausen zeitgleich mit dem Bau seiner neuen Brauerei  an beschriebener Stelle ein Kellergewölbe in das Gestein des Kirbergs, dass als Bier-Kühl- und Lagerstätte seine Dienste tat.  

Dieses Kellergewölbe bestand aus drei miteinander verbundenen, auf unterschiedlichem Höhenniveau in das Gestein gehauenen Räumen. Den am tiefsten gelegenen befüllte er in den Wintermonaten mit Eisblöcken, die aus den eigens dazu in unmittelbarer Nähe zur Weil angelegten und mit Weilwasser gespeisten, sogenannten Eisweiher gebrochen wurden. So entstand ein zentrales Kühlsystem der zwei Lagerräume im Kellergewölbe am Kirberg. Die Eisweiher befanden sich zum Beispiel am Stauwehr gegenüber dem in den 1960er Jahren erbauten Anwesen des Heizungsbauers Otto Jung sowie im Weihergärtchen, auf der Parzelle des heutigen Busbahnhofs. Es waren ruhende Gewässer, die in den damaligen frostreichen Wintermonaten optimale Bedingungen zur Bildung einer ausreichend dicken  Eisschicht boten. Nun konnte das Bier in Holzfässer gefüllt in den höher gelegenen Räumen des Felsenkellers eingelagert werden und bis zur Verwendung reifen.

Dieses Kellergewölbe am Kirberg war als Bier-Lagerort bis zum August 1908 in Betrieb. In diesem Monat brannte die Brauerei ab, sie wurde nicht mehr aufgebaut und der Kirbergkeller nicht mehr als Bier-Lagerstätte gebraucht. Bis etwa 1940 ist jedoch weiterhin Eis in dem Gewölbekeller eingelagert worden aus dem sich die Weilmünsterer Gastwirte und Metzger bedienen konnten. 

Im Zweiten Weltkrieg fand ein Teil der Weilmünsterer Bevölkerung während der Luftangriffe Schutz im alten Felsenkeller am Kirberg. Zwischen 1958 und 1964 lagerte der Gastwirt Herbert Epstein, Wirt des Gasthauses Zum Posthaus, in dem von Christian Vonhausen gegrabenen Felsengewölbe seinen selbst gekelterten Apfelwein. In dieser Zeit wurde kein Eis zur Kühlung mehr eingesetzt. 1956 ebnete der Gesangsverein Uhland eine etwas oberhalb des Kirbergturms gelegene Fläche ein und es entstand der sogenannte Uhland-Festplatz mit einer Naturbühne auf dem in den 1960er Jahren diverse Veranstaltungen stattfanden. 1968 diente der von Christian Vonhausen geschaffene Felsenkeller während eines Uhlandfestes am Kirberg, als Sektbar und Getränkelager. Das Kellergewölbe am Kirberg blickt heute auf eine wechselhafte Nutzungsgeschichte zurück und schlummert hinter verschlossener Tür in freudiger Erwartung auf ein Erwachen aus dem Dornröschenschlaf.

Erinnerungen an die Schneidmühl-Gesellschaft

Von Dr. Adolf Bremser†, redigiert von Heribert Domes 2022

Man schrieb das Jahr 1933. Damit hatte ein Jahr seinen Anfang genommen, dass eine Zeitepoche einleitete, die in der Geschichte des Deutschen Volkes in der Folgezeit eine der schicksalsschwersten nicht nur bei den Deutschen selbst, sondern bei allen Europäern, ja bei allen Völkern der Welt werden sollte.

Vorerst schien alles recht friedlich zu verlaufen. Ich war ins Weiltal gekommen, damals 1933, um mir in Weilmünster eine neue Wahlheimat zu suchen und eine Lebensexistenz zu schaffen.

Bald sollte ich auch mit dem gesellschaftlichen Leben vertraut gemacht werden, denn man bot mir an, dem Kegelclub der „Schneidmühl-Gesellschaft“ beizutreten. Letzteres geschah ganz bald. Als ich dann eines Tages von einem Bekannten mit den Worten begrüßt wurde: „So, dann gehören Sie jetzt auch dem Club der „Halbseidenen“ an, war ich erstraunt, dass man die Mitglieder der Schneidmühl-Gesellschaft so nannte. Eine Erklärung für die Bezeichnung konnte mir niemand geben. Ich war jedenfalls Mitglied bei den „Halbseidenen“ und habe mich im Stillen darüber amüsiert.

Der Clubbetrieb war recht rege, und ich freute mich, so schnell und unkompliziert bei den Herren aufgenommen worden zu sein. Lernte ich doch dadurch schnell mit einem großen Teil der Weilmünsterer Gesellschaft bekannt zu werden, ob freiberuflich tätig, ob Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes aller Schattierungen, Geschäftsleute oder Handwerker.

Die neue Schneidmühle Aufnahme aus dem Jahr 1906Foto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456896.677 5585026.280 Plus Code (Google): 9F2CC98V+78
Grußkarte zum 50jährigen Bestehen der Schneidmühl-Gesellschaft aus dem Jahr 1903Archiv, Heimatverein Weilmünster

Man traf sich samstags oder sonntags ganz ungezwungen im schön gelegenen Clubhaus in der „Neuen Schneidmühle“, wie sie genannt wurde, friedlich am Abhang der linken Weilseite zwischen Weilmünster und Audenschmiede gelegen. Bei besonderen Anlässen wurden die Damen mit eingeladen und fröhlich und unbeschwert ging es zu, oft bis in die späte Nacht oder den frühen Morgen.

Aber schon damals zog sich am politischen Himmel ein Gewitter zusammen, und es sollte auch die Schneidmühl-Gesellschaft nicht davon verschont bleiben. 1935 wurde inoffiziell davon gesprochen, dass die SA der nationalsozialistischen Bewegung plane, das Gebäude der „Neuen Schneidmühle“ in ein SA-Heim umzuwandeln. Zuerst ein Gerücht, das immer ernstere Formen annahm, bis schließlich eine Beschlagnahmung des Gebäudes unmittelbar bevorstand. Es galt jetzt bei den Mitgliedern des Clubs schnell zu handeln und das Übel einer Enteignung abzuwenden. In einer eilig einberufenen Versammlung beschloss man, das Haus so schnell wie möglich privat zu verkaufen. Da verschiedene Bewerber interessiert waren, konnte der Verkauf getätigt und legitimiert werden.

Damit hatte die Schneidmühl-Gesellschaft aufgehört zu bestehen, zumal es ohnehin „im Zuge der Gleichschaltung“, wie es damals im nationalsozialistischen Sprach-Jargon hieß, durch höhere Gewalt ohne Zutun der Mitglieder so weit gekommen wäre. Das war also das Ende einer Vereinigung, die Jahrzehnte bestanden hatte, der es aber nicht vergönnt war, ein 100-jähriges Bestehen zu feiern. Zwei Jahrzehnte fehlten an der Zeit. Leider ist jegliches Material, das über die Geschichte des Clubs Aufschluss geben könnte, verloren gegangen. Man war auf die Erzählungen und Aussagen der älteren Weilmünsterer Bürger angewiesen, die die Blütezeit um die Jahrhundertwende und später miterlebt hatten. Durch ein altes Foto aus dem Jahr 1903 konnte das Gründungsjahr der Schneidmühl-Gesellschaft eruiert werden. Auf ihm steht zu lesen: „Gruß aus dem Tale der Weil – 1853 bis 1903. Zum 50-jährigen Jubiläum der Schneidmühl-Gesellschaft am 23. August 1903“. Danach müsste die Vereinigung 1853 gegründet worden sein.

Es waren zu jener Zeit, nur 5 Jahre nach der 1848er Revolution vergangen, bis die Bildung der Gemeinschaft zustande kam. Wie wir aus geschichtlichen Aufzeichnungen wissen, war das untere Weiltal an dem politischen Geschehen der damaligen Zeitperiode lebhaft interessiert. Die Bevölkerung unserer Gegend war von den freiheitlich-revolutionären Gedanken begeistert, die besonders durch Personen wie Pfarrer Snell aus Langenbach und Lehrer Dietrich aus Lützendorf herausgestellt wurden. Vielleicht fanden sich deshalb damals Menschen zusammen, um eine Vereinigung mit gleichen Interessen zu bilden.

Über die Folgezeit ist nichts bekannt. Späterhin fanden jeweils regelmäßig Zusammenkünfte in der „Alten Schneidmühle“ im Lichtertal statt, dort wo die Wasser des Lichtertaler Baches sich mit denen der Weil vereinen. Hier stand in früheren Zeiten eine Schneidmühle, die das reichlich anfallende Holz aus dem Weilmünsterer Forst verarbeitete. Die Gebäude wurden später von L. Friedrich Buderus aus Audenschmiede übernommen, der ein Geschäftshaus darin einrichtete. Auch das Jagdschlösschen „Dianenstein“ ist von Friedrich Buderus erbaut worden.

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Bald schienen die Räume der alten Schneidmühle den Ansprüchen nicht mehr genügt zu haben und man baute am jenseitigen Hang auf der anderen Weilseite eine Kegelbahn mit entsprechenden Aufenthalts- und Gesellschaftsräumen. Dieses Gebäude nannte man die „Neue Schneidmühle“. Wann das Gebäude errichtet wurde ist unbekannt, jedenfalls dürfte es in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden sein.                                             

Während dieser Zeit schien ein reges Vereinsleben bei den Schneidmühlern stattgefunden zu haben. Bilder aus jener Zeit beweisen diese Annahme. Ebenso beginnt jetzt die Zeitperiode, aus der ältere Weilmünsterer Bürger noch etwas zu berichten wissen. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Namen der Personen aufzuzeichnen und in einer Liste festzuhalten, (ist in der Heimatstube ersichtlich)

Die Mitglieder der Schneidmühl-Gesellschaft, Aufnahme etwa 1905. Foto: Archiv, Heimatverein 

Ich möchte nochmals auf die Bezeichnung „Club der Halbseidenen“ etwas näher eingehen. Wenn man heute (im Jahr 1970) ältere Menschen hier in Weilmünster nach der Schneidmühl-Gesellschaft fragt, bekommt man allenthalben die Antwort, das waren die „Halbseidenen“ und die weitere Ausführung, es waren „bessere Leute“, die dazugehörten, oder es war die „Haute -Volee“ – vornehme Gesellschaft -, das mag vielleicht anfangs, als der Club gegründet wurde, der Fall gewesen sein. Es wird dann weiter gesagt, es gehörten ihm, vor allem vor der Jahrhundertwende, vorwiegend Akademiker, Industrieelle und gutsituierte Kaufleute an. Wenn dem so war, so muss es späterhin anders geworden sein. Wie wir aus der Mitgliederliste ersehen, waren fast alle Berufe vertreten.

Rudolf Dietz, der durch verwandtschaftliche Beziehungen einen heißen Draht nach Weilmünster hatte, war oft im Kreis der Schneidmühler vertreten. Er muss sich hier sehr wohlgefühlt haben, denn ein Gedicht von ihm „Die Schneidmill“, in Nassauer Mundart geschrieben, ist 1900 in einem seiner zahlreichen Bändchen „Nix für Ungut“ erschienen.

Die Eisengießerei Gustav Piesoldt und Sohn in Weilmünster

Von Friedhelm Höhler, Schwiegersohn von Karl Piesoldt.Redigiert von Heribert Domes, 2022

Der Firmengründer der Eisengießerei Gustav Piesoldt und Sohn in Weimünster arbeitete vor und während des Ersten Weltkrieges als Obermeister in einer großen Eisengießerei in Großauheim bei Hanau. Eines der Hauptgeschäfte der damaligen Eisengießereien war der Granatenguss, der aufgrund der Kriegshandlungen in dieser Zeit sich einer starken Nachfrage erfreute. Auch die Eisengießerei Buderus im Werk Audenschmiede stellte Granatenguss her. Wegen Fachkräftemangel hatte man in dem genannten Werk erhebliche Produktionsprobleme, der Fehlguss, der verworfen werden musste, war unvertretbar hoch, und es bestand die dringende Notwendigkeit einen Fachmann zu suchen, den man in Gustav Piesoldt, damals ansässig in Großauheim, fand. Er wurde während des Ersten Weltkrieges auf der Audenschmiede dienstverpflichtet. Mit ihm und seinem Wissen gelang es die Gussprobleme zu lösen. 

1923, in der Eisengießerei Buderus, AudenschmiedeVon links: N.N. - Nickel, Emmershausen – Adolf Maurer – Robert Keller – N.N. – Karl Piesoldt – Theo MetzFoto: Archiv, Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456112.265 5586072.841Plus Code (Google): 9F2CC9GJ+2V

Gustav Piesoldt wurde als Obermeister im Weiltal sesshaft und wirkte von dieser Zeit an in der Eisengießerei Buderus auf der Audenschmiede. Der letzte Hüttenherr, Friedrich Buderus II. verstarb ein Jahr nach Kriegsende, am 9. Juli 1919. Er hatte keine direkten Nachkommen, die das Unternehmen hätten übernehmen können. Sein möglicher Nachfolger, der Neffe Major Fritz Büsgen, war während des Ersten Weltkrieges gefallen. Die Schwester von Friedrich Buderus und später seine Nichte führten nach dem Tod des Hüttenherren das Geschäft bis 1930 weiter, bis sie wegen wirtschaftlicher und familiärer Probleme das Werk für immer schließen mussten.

In dieser Zeit goss man in der Eisengießerei Buderus auf der Audenschmiede auch Teile für den sogenannten Schuhmaschinenbau. Es waren Näh- und Nagelmaschinen aller Art zur industriellen Schuhfertigung. Es handelte sich um sehr komplizierte Werkstücke, die zur Herstellung ein besonderes Wissen voraussetzten. Die Schuhmaschinenhersteller gerieten in große Not, denn mit dem Buderuswerk Audenschmiede ist ihr Zulieferant für die speziellen und komplizierten Gussteile weggebrochen. Sie baten den Obermeister Gustav Piesoldt um Hilfe. Er übernahm die Formteile von Buderus und machte sich selbständig.

Gustav Piesoldt, links, mit seinen Mitarbeitern im Jahr 1937Foto: Archiv, Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456112.265 5586072.841Plus Code (Google): 9F2CC9GJ+2V

Seine eigene Eisengießerei „Gustav Piesoldt und Sohn“ entstand in Weilmünster auf der Parzelle, eingerahmt von der heutigen Wiesenstraße, Feldbergstraße und Taunusstraße. Dort baute Gustav Piesoldt Anfang der 1930er Jahre eine Fabrikationshalle mit einem Schmelzofen zur Herstellung von Eisen-Gussteilen diverser Geometrie. Er, sein Sohn Karl und zwei weitere Mitarbeiter arbeiteten in den Anfangszeiten des neu gegründeten Unternehmens, um die Schuhmaschinenhersteller mit den komplizierten Gussteilen zu versorgen. Nach jedem Schmelzvorgang musste der Innenbereich des Schmelzofens, der mit Schamotte ausgekleidet war, repariert werden. Das konnte nur die Oma ausführen, da sie aufgrund ihrer Körpergröße die einzige zur Verfügung stehende Person war, die in den Innenbereich des Schmelzofens hineingelangen konnte. Die neue Eisengießerei entwickelte sich sehr erfreulich, so dass schon recht bald neue Mitarbeiter eingestellt werden konnten.  

1953 - Blick auf die1930 gegründete Eisengießerei PiesoldtFoto: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456112.265 5586072.841Plus Code (Google): 9F2CC9GJ+2V

Die Eisengießerei Piesoldt arbeitete unter der Führung von Gustav Piesoldt während des Zweiten Weltkrieges weiter. 1951 zog sich der Firmengründer aus dem Geschäftsleben zurück und übergab seinem Sohn Karl die Geschäftsführung. Friedhelm Höhler, Schwiegersohn von Karl Piesoldt, studierte Gießereitechnik und stieg 1963 in die Geschäftsführung der Eisengießerei Piesoldt ein, nachdem er einige Jahre in der Eisengießerei Buderus im Werk Wetzlar absolviert hatte. Er arbeitete in Wetzlar an dem Standort, wo heute unter dem Namen Duktus Röhrenguss hergestellt wird. 1964 starb Karl Piesoldt. Aus gesundheitlichen Gründen war er schon 2 Jahre zuvor aus dem Unternehmen ausgeschieden. Friedhelm Höhler, Schwiegersohn von Karl Piesoldt, übernahm die Geschäftsleitung der Eisengießerei und führte sie 30 Jahre weiter. Überwog bis 1963 der Guss für den Schuhmaschinenbau mit etwa 85% gegenüber der Gesamtproduktion, änderte sich das in den darauffolgenden Jahren schnell, indem neue Kunden aus dem Bereich des allgemeinen Maschinenbaus hinzugewonnen wurden. Zudem änderte sich die Schuhproduktion grundlegend, man ging in dieser Zeit vom Nähen und Pinnen zur Klebetechnik über. Dies verlangte einen komplett anderen Maschinentyp, und die Herstellung der komplizierten Gussteile entfiel. Bis zum Ende der Gießerei im Jahr 1992 sank ihr Anteil auf unter 2% der Gesamtproduktion.

Gustav Piesoldt, und Otto Keller mit einem in Weilmünster  hergestellten Gussteil.Aufnahme, Ende der 1930er JahreFoto: Archiv Heimatverein Weilmünster

In den 1970er und 1980er Jahren beschäftigte das Unternehmen bis zu 80 Mitarbeiter. 1991 legte man den mit Koks betriebenen Schmelzofen still und ersetzte ihn durch eine erdgasbetriebene Schmelzanlage. Die erste Hälfte des Jahres 1992 war von einem dramatischen Auftragseinbruch im gesamten Maschinenbau gekennzeichnet. Schon erteilte Aufträge wurden teilweise storniert, Stückzahlen reduziert und Termine um Monate verschoben. Der Auftragseingang verringerte sich auf 40%. Im Juli 1992 musste man den Betrieb endgültig einstellen.

2006 wurden die Betriebsgebäude der Eisengießerei Piesoldt abgerissen, und es entstand auf diesem Gelände die 2012 für 23 Bewohner fertiggestellte Wohnstätte Feldbergstraße der Behindertenhilfe. Vitos Teilhabe Weilmünster.                                     

Die Audenschmiede - Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 1 von 6 - Die Zeit der Waldschmiede

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Man schreibt das Jahr 1434. Mit den letzten Waldschmieden, die von den dichtbewaldeten Berghängen ins Tal hinunter an die Bachläufe gestiegen waren, kam Clais Uhde, ein Waldschmied aus dem Camberger Grund, zusammen mit seinem Weib, um auf einer Hofstatt „zwischen Winden und Weilmünster vor dem Bielstein“ gelegen, um eine Waldschmiede zu errichten. Diese hatte ihn sein Landesherr, Graf Philipp II. zu Nassau und Saarbrücken beliehen. 

Aufbau eines Rennofens der Waldschmiede im MittelalterAus Wikipedia

Clais Uhde folgte damit den Waldschmieden, die schon vor vielen Jahren die dichtbewaldeten Berghänge des Weiltals verlassen hatten, um sich an den Ufern der Weil niederzulassen. Solange sie noch nicht sesshaft waren, bauten sie ihre einfachen Rennfeuer im Wald, wo es ihnen gerade passte. Hierüber und über den Bezug des benötigten Holzes verständigten sie sich mit den Gemeinden, die froh waren, einen Eisenschmied in der Nähe zu haben. Grund und Boden erwarben sie nicht. War der Wald in der Nähe zu sehr gelichtet, suchten sie sich zusammen mit den Köhlern, ohne die ihre Arbeit ja nicht denkbar war, einen anderen günstigeren Platz. So zogen sie dem Holz, d. h. dem Walde nach, während sie die nötigen Erze, die in unserer Region unmittelbar unter der Erdoberfläche in großen Mengen lagerten, nur noch von der Fundstelle zur Schmelze zu schaffen brauchten. Nur zutreffend war es, wenn man sie daher im Mittelalter „Waldschmiede“ nannte. Unter dieser Bezeichnung waren sie bis zu Beginn der Zeit der „Hohen Öfen“ (auf der Audenschmiede ist der erste Hochofen im Jahr 1588 errichtet worden), auch in den Tälern tätig. 

Die Talwanderung aber bedeutete für die Waldschmiede eine grundlegende Änderung ihres bisherigen Lebens. Jetzt brauchten sie ein Wassergefälle und Grund und Boden für ihre Bauwerke, darüber aber verfügte ausschließlich der Landesherr, Kraft des ihm zustehenden Bergrechts. Ihre bisherige Freiheit mussten sie aufgeben und die Abhängigkeit hinnehmen. Dafür jedoch tauschten sie mehr Sicherheit ein. Eine bestimmte Menge Holz wurde ihnen zugesagt, der Bezug von Erz zugesichert und der Absatz ihrer Erzeugnisse wesentlich erleichtert. Auch Eisenzins und Pacht war für den Grundbesitz zu zahlen, mit dem sie der Graf in Weilburg belehnte.

Von alledem hatte Clais Uhde gehört. In der Urkunde vom „zweiten Wochenende nach Petri Kettenfest“, das man damals am 1. August eines jeden Jahres feierte, versah der junge Graf und Ritter Konrad von Essershausen auf seine Bitte die Bestätigung, von dem Landesherren eine Hofstatt „entlehnt“ zu haben, um „auf ihr eine Waldschmiede“ zu errichten, mit seinem Siegel. Dies geschah im Jahre 1434, dem damit urkundlich verbrieften Geburtstag der heutigen Audenschmiede.

Schnitt durch einen KohlemeilerAus Wikipedia

Noch ist in der Urkunde von einem „Schmieden mit der Hand“ die Rede. Clais Uhde hat also das Wasser der Weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht für seine Blasebälge genutzt. 

Mit dem gleichen Datum versehen ist eine zweite Erbleihbestätigung von Clais Uhde erhalten. In ihr verpflichtet er sich und seine Ehefrau, Eisenstein und Kohlholz, dass sie für ihre neue Schmiede brauchten, durch Untertanen des Grafen zu Weilburg anfahren zu lassen. Wichtiger aber noch ist der Passus, der Clais Uhde und seiner Ehefrau zur Auflage macht, „ein Jahr nach dem Tage der tatsächlichen Inbetriebnahme der Waldschmiede für sich und seine Kinder in Weilmünster ein Haus zu bauen und darin zu wohnen“. Dies unterstreicht eindeutig die Tatsache, dass Clais Uhde vor der Belehnung hinsichtlich der Wahl seines Wohnortes und seines Arbeitsplatzes volle Freizügigkeit genoss. 

War für die meisten Waldschmieden die Wasserkraft der Grund zur Aufgabe ihrer Rennfeuer an den Berghängen, so trifft dies für Clais Uhde nicht zu. Erst 109 Jahre nach seiner Belehnung finden wir in der vom 1. November 1543 datierten Erbleih-Urkunde des Grafen Philipp III. die Erwähnung eines „Wasserganges“, den die jetzt 4 Waldschmiede, Mockhenn und 3 weitere Mitgewerke, einschließlich der „Gebäude und Wohnungen“ erblich betreiben können. 

Um 1480 macht sich nun eine fühlbare Schwächung der Wirtschaftskraft der Waldschmieden ganz allgemein bemerkbar. Dies ist u.a. auf den Hang zur Besitzteilung und dieser wiederum auf meist verhängnisvolle Erbgänge zurückzuführen. Die Audenschmiede ist ein gutes Beispiel hierfür. War sie nach ihrer Gründung 1434 lange Zeit im Besitz nur eines Schmiedes, so finden wir - wie bereits erwähnt - im Jahre 1480 nicht weniger als 4 Waldschmiede, die sich ihren Besitz teilen. Ihre Namen werden nicht genannt. Die Weilburger Hofkellerei gibt lediglich Auskunft darüber, dass jeder ¼ des Eisenzinses zu entrichten hatte.

1524, die Audenschmiede wird zum ersten Mal stillgelegt.

Die Jahre vergehen und ein neues Jahrhundert bricht an. Die Audenschmiede erfährt ihre erste Stilllegung. Man schreibt das Jahr 1524 und erst 1543 wird sie wieder in Betrieb genommen. Die Gründe für diese Stilllegung sind nicht bekannt. Da die Bauernkriege (1524/25) in unserem Raume keine direkten Auswirkungen hatten, dürften rein wirtschaftliche Ursachen anzunehmen sein. Die Nachfrage nach begehrtem Eisen hielt mit dem Angebot nicht mehr Schritt; zu zahlreich waren die Hütten im 16. Jahrhundert aus dem Boden geschossen. Der Absatz ging zurück. Die Preise für das erzeugte Eisen blieben jedoch gleich. Die Gestehungskosten hingegen stiegen wegen der Rohstoffverteuerung an (Verknappung der Holzkohle). Der Hüttenbetrieb wurde unrentabel. 

Für das Weiltal kam erschwerend hinzu, dass sich das Interesse des Landesherren dem Kupferbergbau zuwandte. Er sollte ihm zu einer schnelleren Sanierung der nicht zuletzt durch den Ausbau des Weilburger Schlosses zerrütteten Finanzen verhelfen. Im Jahre 1543 zogen die Eisenpreise jedoch wieder an. Bis zu diesem Jahr war die Audenschmiede, wie wir annehmen dürfen, im Besitz der Nachkommen des Clais Uhde.

Graf Philipp III. gibt am 1. November 1543 die Audenschmiede erblich zu Lehen. 

Aus dem angeführten Dokument erfahren wir, dass die Erbleihbriefe meist erst nach der eigentlichen Belehnung ausgestellt wurden. Dies trifft auf den vom 1. November 1543 datierten Erbleihbrief zu, mit welchem Graf Philipp III. von Nassau und Saarbrücken die Audenschmiede „erblich zu Lehen gibt, mit allen Gebäuden, Wohnungen und Wassergange, wie diese derzeit vorhanden sind“ und zwar an Mockhen, Weberhen von Langenbach, Deisen von Altweilnau und Cuntzen Petern, sowie ihren Ehefrauen. Die genannte Erbschmiede soll dies alles „hinfort erblich innehaben, gebrauchen und redlich erhalten und nicht weiter verteilen, sondern sie sollen jetzt und in aller Zukunft nicht mehr als vier häusliche Wohnungen und Herdstellen auf dieser Schmiede zu richten haben“.

Es wird weiter bestimmt, dass vier Stämme „den herkömmlichen Gebrauch über Trift (den vom Vieh benutzten Weg zwischen Weideland und Stall) mit Rindvieh und Mastschweinen“ haben. Abschießend ist noch die Rede von „Eisen machen auf besagter Schmiede durch den Grafen etc.“ Ein Vorrecht des Landesherren, das sich bis in viel jüngerer Zeit noch erhalten hat. Ein „Schmieden mit der Hand“, wie seinerzeit in dem Leihbrief von 1434 erwähnt, kommt nicht mehr vor; ein Zeichen unverkennbar wohl dafür, dass die Wasserkraft als Energiespender für den Betrieb der Blasebälge sich jetzt endlich durchgesetzt hat. 

Durch eine Feuersbrunst verlieren die vier Familien im März 1551 all ihre Habe.

Durch eine Feuersbrunst verlieren die vier Familien im März 1551, die einen teilweise, die anderen all ihre Habe. Holz für den Wiederaufbau der Gebäude haben sie nicht. Am 1. August 1551 wenden sie sich an den Landesherren. Er möge helfen und er hilft. Die Audenschmiede wird wieder aufgebaut. Immer wieder aber sollte die leidige Holzfrage den Waldschmieden im Wege stehen. Ihrer Eingabe wegen „Zuweisung einer Hecke“ bei Grävenwiesbach, genannt die „Malnbecher Sträuche“, zur Gewinnung von Kohlholz gibt Weilburg statt.

Die ersten 150 Jahre Hüttenbetrieb auf der Audenschmiede neigen sich dem Ende zu.

Wechselvoll war das Schicksal von Eisenhütte und Mensch, deren Leben mit ihr unlösbar verbunden war. Das handwerkliche Können gab dieser ersten Phase der Geschichte der Audenschmiede das Gepräge. Von den Berghängen war die Waldschmiede ins Tal gezogen. Der technische Fortschritt war nicht aufzuhalten. Das Bessere wurde der Feind des Guten. Doch Jahrzehnte sollte es dauern, bis sich damals Neuerungen durchsetzen konnten. Noch war der Mensch das Maß aller Dinge, noch stand er im Mittelpunkt allen Geschehens auf den Eisenhütten des Mittelalters. Aber unübersehbar war der Trend zu größeren Anlagen. Nur wer die zur Erweiterung der Eisenhütte notwendigen finanziellen Mittel aufbringen konnte, vermochte mitzuhalten. Der Wettbewerb setzte ein. Die Schmieden begannen kaufmännischen Gesetzen zu unterliegen. Aus dem einstigen Waldschmied musste ein Unternehmer werden und unüberhörbar wird ein neues Zeitalter eingeläutet.         

Die Audenschmiede -  Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 2 von 6 – Das Zeitalter der Hochofenverhüttung

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Das Zeitalter der Hochofenverhüttung beginnt und erfasst auch die Audenschmiede mit all ihren Auswirkungen für Werk und Mensch. Eine der tiefgreifenden Umwälzungen in der Geschichte der Eisenindustrie bahnt sich an. Verglichen mit den benachbarten Gebieten, erfolgte die Einführung der „hohen Gießöfen“ im Weital verhältnismäßig spät. Ihre dann aber einsetzende schnelle Verbreitung bei uns im Nassauischen ist der Zuwanderung geschulter technischer Meister und Hilfskräfte zu verdanken, die aus Gegenden kamen, in denen dieses neue Verfahren bereits in hoher Blüte stand. Aus dem kurkölnischen Westfalen und der Grafschaft Waldeck, insbesondere aber aus den Niederlanden und hier vornehmlich aus dem Maastal kamen sie, die Gießer und Former, die dieser Entwicklungsphase der Eisenindustrie im Lahn-Dill Gebiet ihren Stempel aufdrückten. Ins Weiltal kamen vornehmlich Wallonen und Niederländer. Sie brachten ihre Kenntnisse vom Bau der „hohen Öfen“ mit.

Wilhelm Wilken und Heinrich Caspar errichten im Jahre 1588 den ersten Hochofen im Weiltal. 

Den ersten dieser Hochöfen errichtet mit Genehmigung seines Landesherren, Graf Albrecht zu Nassau, zu Saarbrücken und Saarwerden, der deutsche Ofengießer Wilhelm Wilken im Jahre 1588. Er hatte zusammen mit dem Ofengießer Heinrich Caspar, einen aus dem Hochstift Lüttich stammender Wallone, bereits zu Beginn der 1580er Jahre einen Hochofen auf seiner Hütte zu Vockenhausen bei Eppstein im Taunus betrieben. 

Die auf der Audenschmiede immer noch tätigen Waldschmiede sträubten sich gegen die fortschrittlichen Pläne des neuen Mannes, wobei sie „schändliche und lästerliche Vermaledeiungen“ gegen die aufkommende Konkurrenz ausstießen. Für die wenig kapitalkräftigen und kaufmännisch kurzsichtigen Waldschmieden setzt ein schmerzhafter Wandel ein. Selbständig noch im vergangenen Jahrhundert, mit 1 oder 2 Knechten ihre Schmiede betreibend, sehen sie sich jetzt zum Lohnarbeiter herabsinken. Mit der Errichtung des ersten Hochofens auf der Audenschmiede bricht gleichsam eine neue Zeit an. 

Wilken und seine Teilhaber stellten bereits im Jahr 1590 Kanonenkugeln zur Landesverteidigung her. 

Kaum ist nun der wallonische Hochofen errichtet, bei dem nicht die Roheisengewinnung, sondern der Eisenguss, d.h. die sofortige Verwendung des flüssigen Hochofeneisens zum Guss eiserner Gegenstände, wie u.a. Öfen aber auch Kanonenkugeln im Vordergrund stand, da kann Wilkens mit seinen Teilhabern bereits 1590 allein 834 Kugeln mit Gesamtgewicht von 79 Zentnern und 36 Pfund auf die Feste Homburg in die Pfalz liefern. Im gleichen Jahr werden für das Schloss zu Weilburg auf dem Eisenhammer eiserne Stangen und Schienen geschmiedet, daneben auch Spieße und allerlei schmiedeeisernes Küchengerät. 

Bereits Ende des 16. Jahrhunderts werden Plattenöfen mit künstlerischer Gestaltung gegossen. 

Die „Plattenöfen“ deren künstlerische Gestaltung gleichsam die Entwicklung des Kunstempfindens dieses Zeitabschnittes um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert widerspiegelt, wurden zu begehrten „Gegenständen“ in Fürsten- und Grafenhäusern sowie in den Wohnungen des gehobenen Bürgerstandes. Ein Meister seines Faches war der nassauische Gießer Meister Peter Sorge aus Kraftsolms. Sein Bruder Heinrich soll auf der Audenschmiede tätig gewesen sein. Er war es, der seinerzeit „Audenschmieder Öfen“ auf der Messe in Frankfurt am Main anbot. 

In der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg setzte ein spürbarer Rückgang des künstlerisch gestalteten Ofengusses ein. Man verfolgte die Massenherstellung von Öfen, die nur einfache Motive oder Wappen der Fürsten- und Grafengeschlechter auf den Ofenplatten zeigten.

Häufiger Wechsel der Hüttenbetreiber am Ende des 16. Jahrhunderts.

Schon 1596 wird Wilkens durch Laux Weissmann als Hüttenmeister abgelöst. Während seiner Tätigkeit wird 1598 der Höhnerwald oberhalb von Gräveneck, der bislang einem Wilhelm Schütz aus Heckholzhausen gehörte, an den „ehrenhaften Sebastian Sölmischer und Margarete, seine eheliche Hausfrau, wohnhaft auf der Audenschmiede, für 1200 Gulden verkauft“. 1609 bereits wird Holz aus dem Herrenwald bei Haintchen, 1611 aus der Wohnstruh in der Herrschaft Neuweilnau gekauft. Der Erwerb von Holz aus dem Hauserwald kann wohl dem Hüttenmeister Johann Caspar zugeschrieben werden, der erstmalig 1601 urkundlich erwähnt ist. Er kam zusammen mit seinem Ofengießer Caspar Mosser van On, der aus den Niederlanden zugewandert war. 

Auf ihn folgte der Hüttenmeister Julius Gilson, der während des 30-jährigen Krieges auf der Audenschmiede tätig war. Dieser Krieg scheint sich zunächst recht günstig für ihn und seinen Partner Martin Cämmerling, seines Zeichens Oberschuldheiß von Weilmünster, ausgewirkt zu haben. Hier beginnt also ein „leitender Beamter eines Gemeinwesens, der kaum von überragenden fachlichen Kenntnissen geplagt ist“, Einfluss auf das Geschehen einer Eisenhütte zu nehmen und er sollte kein Einzelfall sein. 

Caton errichtete 1615 die Neuhütte auf dem Gelände der Blumenmühle.

Nicht von der Hand zu weisen ist auch die Annahme, dass sich hier ein stiller Teilhaber bzw. Geldgeber, vermutlich mit gesundem Profitdenken ausgestattet, gefunden hat. 1625 kann Gilson mit seinen Mitgewerken die 1615 bei Weilmünster errichtete Neuhütte „zur Hälfte von ihrem Betreiber Caton anteilig erwerben“. Dabei handelt es sich um das Anwesen der späteren Blumenmühle. Diese neue Hütte war den Audenschmiedern ein Dorn im Auge. Da Caton bereits seine ersten Startschwierigkeiten nicht meistern konnte, war der Erwerb der Hälfte seines Besitzes durch die Audenschmieder ohne Hindernisse erfolgt.

Die Blumenmühle, etwa um 1920, im Hintergrund die Heil und Pflegeanstalt und im Vordergrund der Bahnhof Kurhaus. Foto Archiv, Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456591.952 5585689.242Plus Code (Google): 9F2CC9CQ+MH

1627 erwirbt Christof Sorge die zweite Hälfte der Neuhütte.

Interessanterweise erwirbt im Jahr 1627 Christof Sorge, für die künstlerische Gestaltung gusseiserner Ofenplatten bekannt und berühmt, die andere Hälfte der Neuhütte. Die Leitung teilt er sich mit seinen Teilhabern von der Audenschmiede. Doch die Konjunkturwelle, die Gilson zunächst hochgetragen hatte, erwies sich letztendlich als trügerisch. Auch die Audenschmiede sollte die ganze Härte des 30-jährigen Krieges (1618 – 1648) und des Nachkrieges direkt zu spüren bekommen.

1634/35 zerstören die schwedischen Truppen von König Gustav Adolf die Audenschmiede.

Zwei Jahre hindurch 1634 bis 1635, wird das Weiltal von den bei Nördlingen geschlagenen schwedischen Truppen König Gustav Adolfs, der den von Kaiser Ferdinand II. bedrohten Protestanten zu Hilfe geeilt war, schwer heimgesucht. 

Die Audenschmiede wird zerstört. Die Kohlevorräte werden geplündert. Vor allem hatten es die Soldaten auf die Blasebälge abgesehen, die sie zerschnitten, um so das begehrte Leder mitnehmen zu können. Für die Hütten im Weiltal sollten dies die schlimmsten Kriegsjahre sein. Durch Plünderungen und Brandschatzungen schwer getroffen, wussten sich viele Landbewohner nicht anders zu helfen, als sich in den Wäldern versteckt zu halten. Hungersnot und Seuchen folgten. Der „Verfall der guten Sitten“ ließ nicht auf sich warten. Das gutnachbarliche Verhältnis der Menschen zueinander war gestört. Auch Julius Gilson musste dies am eigenen Leibe erfahren. Er war nach Braunfels geflohen, wo er sich zunächst verborgen halten konnte. Doch bald wird er verraten und von den Truppen nach Wetzlar verschleppt. 

So war die Audenschmiede ohne leitenden Kopf. Die Gießermeister, die Schmelzer mit ihren Gesellen, die Hammerschmiede, soweit sie in jener Zeit auf der Audenschmiede tätig waren, die Hüttenknechte, der Hüttenvogt, die Köhler und Holzhauer sowie die reinen Bergarbeiter, sie wurden in alle Winde zerstreut. Es war „eine böse Zeit“ bis 1638 und da auch kein Eisenzins mehr gezahlt wurde – in Weilburg finden sich keine diesbezüglichen Eintragungen – darf angenommen werden, dass die Audenschmiede nicht einmal vorrübergehend in Betrieb gewesen ist.   

Die Audenschmiede - Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 3 von 6 - Julius Hermann Kraft übernimmt die Audenschmiede

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Der dreißigjährige Krieg hatte der Eisenindustrie in unserer Region schwere Wunden geschlagen. Zwölf Jahre ruhte jeglicher Betrieb. Von den sechzehn Hochofenhütten der Vorkriegszeit, werden sieben nicht wieder aufgebaut, zwei arbeiten nur noch als Eisenhämmer weiter. Die allgemeine wirtschaftliche Situation war kriegsbedingt stark rückläufig. Umso eindrucksvoller daher der Aufschwung, der nach diesem Krieg festzustellen war. Dabei ging die Wiederbelebung an Lahn und Dill vom Weilburger Gebiet aus. Die aus dem Siegerland stammende Familie Julius Hermann Kraft übernimmt die Audenschmiede. Sie ist die erste Hochofenhütte unserer Region, die wieder in Gang kommt. Es beginnt die Zeit, in der der „Staatsbetrieb“ und der „Unternehmerpächter“, der ein staatseigenes Hüttenwerk in Pacht hatte und eben nur das benötigte Betriebskapital aufzubringen brauchte.

Das Familienwappen des Hüttenherren Kraft, Bürgermeister und Betreiber des Hütten- und Hammerwerkes Audenschmiede schmückt das 1669 als Wohn- und Amtshaus errichtete Gebäude in der Hauptstraße in Weilmünster  später Kaufhaus KohlUTM Koordinaten: 32U 455540.889 5586846.343Plus Code (Google): 9F2CC9JF+QJ

Die Kraft’s waren eine von diesen Unternehmerfamilien. Sie betrieben vorwiegend gepachtete Eisenhüttenwerke. Siebzig Jahre hindurch bis zu ihrer Stilllegung im Jahre 1726 hatten sie die Audenschmiede in Besitz. In den Jahren 1646 und 1647 werden die Gebäude und der Hammer wieder hergestellt und 1652 wird der Hochofen wieder errichtet. Allerdings waren die Krafft’s nicht die alleinigen Betreiber der Audenschmiede. Bis spätestens 1677 mussten sie wegen der Verschuldung der Hütte einen weiteren Teilhaber hinzunehmen. Dieser war der Oberschuldheiß Sorge, vermutlich ein Nachfahr jenes Christof Sorge, mit dem sich Julius Gilson bereits ab 1627 den Besitz der erwähnten Konkurrenz, die Neuhütte, teilte.

Trotz der besonderen Leistung dieses der Bauart entsprechend „wallonischen“ Hochofens und trotz hohen Nachholbedarfs in der ersten Nachkriegszeit, gingen die Geschäfte der Audenschmiede nur schleppend voran. Die Bitte um Zinserleichterung an den Grafen zu Weilburg und die Zinsrückstände bringen es deutlich zum Ausdruck. Nicht einmal den jährlichen Eisenzins konnte die Audenschmiede bis 1674 aufbringen. Mit den verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges ist das Hüttenwerk nicht fertig geworden.

Das Gleiche gilt auch für die Neuhütte. Die Besitzer klagen über das Fehlen von Fachkräften, mangelnder Leistung und hohe Fluktuation der Belegschaft. Man glaubt, wenn man die Dokumente liest, einen Wirtschaftsbericht unserer Tage in den Händen zu halten. Auch das weitgehende entgegenkommen des Grafen Johann Ernst, wie es sich Lehnsbriefen aus dem Jahre 1683 ausdrückt, kann den Inhabern der Audenschmiede und der Neuhütte nicht mehr helfen. Beide Werke haben sich nur noch dahingeschleppt.

Gerade in dieser Zeit setzt der mörderische Konkurrenzkampf der einzelnen Eisenhütten untereinander ein. Mangel an Holzkohle und das Ausbleiben jeglicher finanzieller Hilfe durch das Land, sowie die Aussichtslosigkeit, aus den landesherrlichen Forsten Holz zu bekommen, besiegeln das Schicksal der beiden Hütten. Die Neuhütte muss 1712 den Betrieb einstellen, 1716 ereilt die Audenschmiede das gleiche Missgeschick. Das Weilburger Land war nahezu ein halbes Jahrhundert ohne eisenschaffende Industrie, obwohl die Reviere reich an Erzen waren. 

1763 nahmen Disterweg und S.F. Germain den Hüttenbetrieb Audenschmiede wieder auf.

Viele Jahre lang hatten die Wälder ungenutzt gelegen, was der Kohlenholzversorgung außerordentlich zugutekam, der Nachholbedarf war groß. Beides veranlasste Fürst Karl Christian zu Weilburg (1753 – 1788), die Eisenproduktion in seinem Land wieder aufnehmen zu lassen. Bereits im Jahr 1761 waren der gräfliche Wied-Runkel’sche Landesrentmeister Diesterweg und Handelsmann S.F. Germain aus Usingen an den Fürsten mit dem Gesuch herangetreten, die Audenschmiede wieder errichten zu dürfen

Diesem Gesuch wird stattgegeben und am 21. Januar 1763 wird der Betrieb der Hütte auf sechs Jahre genehmigt. Ein jährlicher Bezug von vierhundert Klafter Holz zum Tagespreis ist zugesagt. Diese überaus wichtige Zusicherung und die konjunkturell günstige allgemeine wirtschaftliche Lage haben zu einer Blütezeit für die Audenschmiede geführt. 1768 wird ein neuer, zweiter Hammer in Betrieb genommen. In der Zeit von 1775 bis 1790 werden Spitzenproduktionsziffern erreicht.

Es beginnt das letzte Jahrzehnt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Audenschmiede steht vor dem Beginn einer bedeutungsvollen siebzigjährigen Epoche. Vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren von dem Waldschmied Clais Uhde gegründet, werden Männer eines einzigen Familienstammes der Eisenhütte im Weiltal, ihr Siegel aufdrücken.

1788/89 war das Hüttenwerk Audenschmiede ein begehrtes Kaufobjekt.

Wegen der hervorragenden Produktionsleistung in den Jahren 1788/89 war die Audenschmiede verständlicherweise zu einem begehrten Kaufobjekt geworden. Sieben Jahre nach dem Erwerb der Eisenhütte zeigten sich die derzeitigen Besitzer, die Wachter’schen Erben geneigt, die Audenschmiede, soweit sie darüber verfügen konnten, zu veräußern. Diese Erbengemeinschaft bestand aus den Erben F.S. Germains und seines Teilhabers, dem Hofrat Wachter.

Ernsthafter Bewerber war das nassauisch-usingische Hüttenamt. Sein Leiter war der ehrgeizige Hütteninspektor Henkler, einer der besten Fachleute seiner Zeit. Ihm kam es darauf an, die Audenschmiede mit den nassauisch-usigischen Betrieben zu verbinden. So sollte ein lästiger Konkurrent ausgeschaltet werden. Insbesondere aber war Henkler an der Audenschmiede interessiert, weil sie als einziges Eisenwerk im Weilburgischen in der Kohlenholzversorgung besser dastand im Vergleich zu den usingischen Werken. Nassau-Weilburg verweigerte jedoch den Verkauf. Lediglich zu einer zeitweisen Verpachtung der Audenschmiede und der dazugehörenden Hämmer konnte man sich bereitfinden. Der Pachtvertrag wird am 6. März 1790 abgeschlossen. Zwar nahm damit das Usinger Hüttenamt bestimmenden Einfluss auf die Audenschmiede, in der Grundabsicht jedoch, durch den Holzbezug die Audenschmiede in die Hand zu bekommen, war man gescheitert.

Damit ist die Audenschmiede auf die Dauer von Jahrzehnten verpachtet. Allerdings hatten sich die Wachter’schen Erben ausbedungen, den Vertrag nach drei Jahren unter festgelegten Bedingungen aufkündigen zu können, falls sich eine günstige Verkaufsmöglichkeit bieten sollte. Dies war, wie wir noch sehen werden, ein überaus wichtiger und für die Audenschmiede bedeutungsvoller Passus.

Mit dieser Neuerwerbung sollte indes der Nachbarstaat nicht recht glücklich werden. Prompt setzten Schwierigkeiten bei der Holzversorgung ein. Das Gespenst der Holzknappheit geht um. Hinzu kommen die immer spürbarer werdenden Auswirkungen des ersten Koalitionskrieges (1792-1795) gegen Frankreich. Wetterau und Lahntal gehören damals zum Kriegsschauplatz. Ständig musste mit Plünderungen und Brandschatzungen seitens durchziehender Truppen gerechnet werden. 

Nach der Übergabe von Mainz an die Franzosen am 21. Oktober 1792 begannen die Streifzüge französischer Truppen in das Lahn- und Weiltal und in die Wetterau. Weilburg und Weilmünster werden besonders heimgesucht. Die Vertreibung der Franzosen vom rechten Rheinufer brachte eine gewisse Beruhigung. Im September 1795 besetzten Franzosen erneut die Lahn von Limburg bis Wetzlar. Im Oktober des gleichen Jahres wurden sie von den Österreichern zurückgedrängt.

In den Jahren 1793 und 1794 lag die Audenschmiede einmal mehr still. Holzkohlemangel und Kriegsunruhen trugen das ihre dazu bei. Sie kam mit der Holzkohleversorgung besser voran als die anderen Hütten. Demgegenüber ist aber die usingische Hüttenindustrie durch die bereits erwähnten unmittelbaren Auswirkungen des Krieges finanziell so sehr geschwächt, dass sie sich nicht in der Lage sieht, als ernsthafter Kauf-Bewerber der Audenschmiede aufzutreten. Die Wachter’schen Erben entschlossen sich schließlich im Jahr 1797 wegen Erbauseinandersetzungen, die Audenschmiede aufzugeben und zu verkaufen.

Die Geschichte der Audenschmiede während der ersten zweihundert Jahre ihrer Existenz als Hochofenhütte zeigt, wie die einstige, noch unbedeutende Waldschmiede jetzt zum Spielball eines wechselvollen Schicksals wurde. Zeiten hoher Blüte (1588 bis 1634, 1763 bis 1790) wechselten mit Zeiten harter Rückschläge und wahrer Überlebensbedrohung (1646 bis 1716, 1791 bis 1797), die bis hin zu völligem Stillstand (1634 bis 1647, 1717 bis 1763 und 1794 bis 1795) führten.

Immer wieder aber hatte sich dabei die über Pachtverträge gegebene Anbindung an die Geschicke und Interessen des Herrscherhauses zu Weilburg als hinderlich, ja unvorteilhaft für die Entwicklung der Audenschmiede erwiesen. Wollten die Hütten an der Lahn und Dill wirklich zu eigenständiger und auch überregionaler Bedeutung gelangen, so mussten sie sich zwangsläufig aus einer solchen Bindung lösen. Die Zeit für den Übergang der Eisenverhüttung aus „feudal-staatlichen“ in private Hände war reif geworden.

Die Audenschmiede - Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 4 von 6 – Die Ära Buderus – Johann Wilhelm Buderus II

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

 Johann Wilhelm Buderus II, 1776 zum Bergrat ernannt, heiratete am 24. November 1768 die Tochter des vermögenden Hüttenherren Johannes Trieb aus Weilburg, der seinerzeit u.a. die Audenschmiede in Pacht hatte. Er ist der Sohn des 1690 in Nassau geborenen Johann Wilhelm Buderus I, der Gründer der Buderus Werke. 

Am 20. Oktober 1797 erwarb Johann Wilhelm Buderus II für die Summe von 27.500 Gulden die Audenschmiede. Der kleine Weilburger Staat war nicht finanzkräftig genug, die Audenschmiede in eigener Regie zu übernehmen, stilllegen aber wollte man sie auch nicht. So erteilte die Regierung in Weilburg am 17. Februar 1798 ihre Zustimmung „zum Übergang der Audenschmiede auf den Bergrat Johann Wilhelm Buderus II“.

Bergrat Johann Wilhelm Buderus II. 1740 – 1806 kaufte 1797 für 27.500 Gulden das Hüttenwerk Audenschmiede
Das Wohnhaus Buderus auf der Audenschmiede, Aufnahme aus dem Jahre 1920, damals stand noch der Hund, ein Kunstguss aus eigener Fabrikation, am Grundstücksrand, Bild unten links.Foto: Archiv, Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456705.829 5584379.941Plus Code (Google): 9F2CC95R+W7

Ein Jahr darauf, am 3. Februar 1799, setzt Fürst Friedrich Wilhelm zu Nassau, Graf zu Saarbrücken und Saarwerden, seinen Namen unter den „Freiheitsbrief“. Da es sich um eine Erbleihe handelt, gilt sie auch für die leiblichen Erben und Nachkommen der Bergrats, der damit – neben anderen – das Recht erhielt, bzw. die „Befugnis, in den fürstlichen Ämtern Weilburg, Weilmünster und Meerenberg nach Eisenstein zu suchen, ihn  bergmännisch abzubauen und auf die Hütte fahren zu lassen“.

Am 31. März des gleichen Jahres läuft auch die bis dahin noch bestehende Pacht seitens der Vorbesitzer aus. Bergrat Johann Wilhelm Buderus II kann nun als vom Landesherrn nicht mehr bevormundeter Eigentümer seiner Hütte mit dem Ausbau und der gebotenen Modernisierung „seines Werkes Audenschmiede“ beginnen.

Beim Übergang auf Bergrat Johann Wilhelm Buderus II gehörten zum Werk Audenschmiede, eine Schmelzhütte mit Hochofen, zwei Kohleschuppen, ein großes Hammergebäude mit zwei Feuerstellen, zwei angebaute kleine Eisenmagazine, ein weiterer Kohleschuppen, ein Eisenstein- und ein Schlackenpochwerk. Ferner ein zweistöckiges Wohnhaus mit einem angebauten Häuschen für den Stallknecht und die Hammerschmiede, sowie ein Pferde- und Rindviehstall.

Etwa eine Viertelstunde unterhalb der Hütte in Richtung Weilmünster lag ein Zainhammer (Hammerwerk in dem Schienen zu Stäben mit kleinerem Querschnitt verarbeitet werden, zain= ziehen) mit Wohnung für die Hammerschmiede, ein Kohlenschuppen, ein Eisenmagazin und ein Stall, der ebenfalls in den Buderusbesitz überging. (Es handelte sich um das Gelände auf dem nach 1950 das Büromöbelwerk Knappeck errichtet wurde). Schließlich gehörten noch Gärten, eine Wiese und zwei Fischweiher dazu. Die gesamte Bodenfläche umfasste sechseinhalb Morgen.                                                     

Der Bergrat baut ein geräumiges, stattliches Wohnhaus

Mit Genehmigung von Weilburg, denn eine solche war zwingend in dem „Freiheitsbrief“ im Falle baulicher Erweiterungen und Neubauten vorgesehen, ließ der Bergrat ein geräumiges, stattliches Wohnhaus an der Stelle der alten Behausung errichten. Hier wolle er selbst bzw. sein ständiger Vertreter wohnen um den Hüttenbetrieb zu leiten.

In den Jahren 1801 und 1802 wurde der oberhalb der Hütte in die Weil fließende Wiesbach in den Hüttengraben geleitet, da die Weil bei Trockenheit nicht genug Wasser führte, um die Antriebsräder in Gang zu halten. Dabei wurde der Wiesbach in Röhren über die Weil geführt, weil er sich ja auf dem jenseitigen Ufer in die Weil ergoss, eine Maßnahme die sich lohnen sollte.

Zur Zeit der Übernahme der Audenschmiede durch Bergrat Johann Wilhelm Buderus II lag der Bergbau im Weilburgischen technisch weit zurück. Dies umgehend zu ändern war das vordringliche Bestreben des neuen Hüttenherren. Geschulte Bergleute wurden ins Land gerufen. Die bislang im Nebenerwerb als Bergleute tätigen Bauern durften nur noch unter Aufsicht eines Steigers arbeiten, was ihnen gar nicht behagte. Für das Hüttenwerk aber erwies sich diese Maßnahme als sehr günstig. Man wurde im Eisensteinbezug  unabhängig, konnte sich auf die nähere Umgebung beschränken und die kürzeren Transportwege führten zur Kostensenkung. Diesen augenfälligen Vorteilen verschloss sich auch das Berg-Collegium nicht, als es eine Beschwerde der empörten Bauern zurückwies. Denn dem Land kam die bessere Nutzung der heimischen, sprich inländischen Eisensteinvorkommen ebenfalls zugute. 

Auch das Wohl seiner Arbeiter lag dem neuen Hüttenherren am Herzen. Er schuf besondere „Einrichtungen zur Erholung und zum Vergnügen“. Zwar waren der „Tanz an einigen Sonntagen nach dem Gottesdienst – in einem zur Eisenhütte gehörenden Haus – unter den Augen des Brotherren und unter Aufsicht der Vorgesetzten“ wohl etwas gesteuert. Buderus wollte Unordnung, Sauferei, Geldvergeudung, Schlägerei etc. verhindern. In all dem Vorangesagten kommt die Überlegenheit des privat geführten Betriebes gegenüber dem herkömmlichen Staatsbetrieb deutlich zum Ausdruck.

Um die Jahrhundertwende zeigten sich bei eintretender Ruhe, nach den langen Kriegsjahren, neue Entwicklungsmöglichkeiten für die Eisenindustrie. Große Kohlholzmengen standen jetzt zur Verfügung, da die waldbesitzenden Gemeinden – und das bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts – große Holzeinschläge ausführten, um sich von drückender Kriegsschuldenlast zu befreien. Die Aussicht auf zunehmenden Absatz nach Wiederkehr friedlicher Zeiten führte zu gesteigerter Erzeugung. Die Preise zogen an. Alles dies deutete auf eine gewisse Hochkonjunktur im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Auch die Auswirkungen der ständigen Kriege Napoleons I. (hier 1805 bis 1809), gemeint ist der hohe Munitionsbedarf der im Rheinland zusammengeschlossenen und zur Hilfeleistung herangezogenen Staaten, kamen der Audenschmiede zugute. Wie andere Unternehmen gleicher Art, hatte auch sie sich auf die Herstellung von Artilleriebedarf – um einen Sammelbegriff zu gebrauchen - eingestellt.

1806 stirbt der Hüttenherr Johann Wilhelm Buderus II.

Da stirbt am 1. Mai 1806 der Hüttenherr Johann Wilhelm Buderus II. In großem Maße war ihm gelungen, das Unternehmen höher zu bringen als zu Lebzeiten seines Vaters. Der Wert der Audenschmiede hatte sich in den ersten sieben Jahren der Ära J. W. Buderus II nahezu verdoppelt.

Bergrat Johann Wilhelm Buderus II, Träger eines großen Namens in der Geschichte der deutschen Eisenindustrie, hatte Glück gehabt. Gewiss, „der Erfolg liegt jedoch nur wie ein abendlicher Schimmer über seinem Leben voller Sorge und Mühe, denn der größte Teil seines Lebens fiel in eine Zeit, in der das hessen-nassauische Eisenhüttenwesen schwer zu kämpfen hatte“. So lesen wir es in dem Werk über die Buderus’schen Eisenwerke und besser hätte man es nicht ausdrücken können.

Auch nach dem Tode des Bergrats hält die günstige Entwicklung an. Das Werk wird von nun an von seinen drei Söhnen aus erster Ehe mit Wilhelmine Trieb, weitergeführt. Johann Christian Wilhelm, Anton Georg Wilhelm Christian, großherzoglicher Rittmeister, und Georg Friedrich Andreas, großherzoglicher hessischer Bergrat, werden Hüttenherren auf der Audenschmiede. Sie schlossen am 2. Januar 1807 - acht Monate nach des Vaters Tod - einen Sozietätsvertrag und führten nunmehr gemeinsam die Eisenwerke unter der Firmierung „J.W. Buderus-Söhne“.

Sie verstanden die Zeichen der Zeit zu nutzen. Mit der Audenschmiede als Kernstück, konzentrierten sie sich vornehmlich auf die Herstellung von Munitionsguss. Die Befreiungskriege der Jahre 1813/14 haben, wie zuvor schon die französischen Kriege dazu beigetragen, dass die Buderus’schen Hütten bedeutende Munitionsaufträge auszuführen hatten. Die Audenschmiede arbeitete als wahre Munitionsfabrik.

Auf dem Boden solcher „Kriegsgewinne“ gedeiht die Audenschmiede im Verband der Buderus’schen Eisenwerke prächtig. Aber nicht nur der Hüttenherr und die anderen „Oberen“ zogen seinerzeit Vorteil aus diesem Aufschwung. Auch die Arbeiter konnten ihre Lage verbessern. Sie fanden nicht nur Auskommen, sie konnten auch Ersparnisse beiseitelegen. 

Die Audenschmiede - Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 5 von 6 – Die Ära Buderus – Friedrich Buderus I und II    

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Bereits zwei Jahre vor dem Tod des Bergrats Georg Friedrich Andreas Buderus war ein neuer Sozietätsvertrag abgeschlossen worden. In ihm war die Neuverteilung der Aufgaben der drei Teilhaber neu geregelt worden. Interne Familienauseinandersetzungen waren vorausgegangen. Zunächst aber wird der Ausbau der Audenschmiede unter Friedrich Buderus I zügig fortgesetzt. 1838 wird ein neuer Hochofen errichtet und ein neues Schmelzgebäude gebaut. Die Spezialisierung auf Herstellung nur von bestem Roh- und Gusseisen, schlug sich in einer positiven Geschäftsentwicklung nieder. Im Zuge von Neu- und Umbauten wird die Umstellung des Werkes auf Dampfmaschinenbetrieb vollzogen. Zugleich wird ein kleines Emaillierwerk erstellt. Zu eben dieser Zeit scheint die Eisenerz-Schmelze eingestellt worden zu sein. Dem durch steigende Preise für Holzkohle und durch die Konkurrenz ausländischem, importiertem Roheisens ausgelösten Kostendruck, begegnet die Audenschmiede damals durch hochwertige Spitzenerzeugnisse.

Quadratischer Zimmerofen von der Eisengießerei Buderus in der Zeit von 1860 – 1880 auf der Audenschmiede gegossen, Dauerausstellung Heimatstube Weilmünster.

1857 lässt sich Friedrich Buderus I auf gewagte Unternehmungen ein. 

Aber wieder einmal mehr sorgen Familienstreitigkeiten für einen bedeutsamen und leider für die Audenschmiede überaus nachteiligen Wandel. 1857 kommt es bei der Erneuerung des Gesellschaftsvertrages – nach 50 Jahren – wegen der bislang bestehenden Anteilsverhältnisse zu Auseinandersetzungen zwischen den Firmeninhabern. Doch die bisherige Regelung wird bestätigt. Man hatte sich noch einmal geeinigt. Der von Georg Friedrich Andreas Buderus beschworene Familienfrieden bleibt gewahrt. Die Teilhaber hatten Besonnenheit bewiesen. Das Werk durfte keinen Schaden nehmen. Da lässt sich Friedrich Buderus I, - „Friedel“ – wie er genannt wird, außerhalb und ohne vorherige Genehmigung durch seine Teilhaber, auf gewagte Unternehmungen ein.

Er erwirbt die „Germania Hütte“ zu Neuwied. Prompt gerät er in Schwierigkeiten. Seine Vetter springen ihm im Geiste echter Familientradition bei. Zweihundertsiebzigtausend Gulden müssen aus dem Geschäftsvermögen herausgezogen werden. Die Firma gerät in eine bedrohliche Lage. Das Vertrauen unter den Teilhabern schwindet. Friedrich Buderus I hat sich isoliert. Weitere vertragswidrige Bindungen, die nur als waghalsige Spekulationen bezeichnet werden können, zeigen auf, wie wenig Friedrich Buderus I von einem „Königlichen Kaufmann“ hatte. 

Die Trennung der Gesellschafter und damit die Auflösung der bestehenden Firma J.W. Buderus Söhne war unvermeidlich geworden. Durch Vertrag vom 18. Januar 1870 wurde die bisherige Firma aufgelöst. Danach erhält Friedrich Buderus I 84 in der Auflösungsurkunde im Einzelnen aufgeführte Gruben im Bergrevier Weilburg und von den Hüttenwerken „die Audenschmiede bei Weilmünster“ zum Wert von sechsundzwanzigtausend Gulden.

Die letzten Jahre der Ära Buderus auf der Audenschmiede. 

Im gleichen Jahr noch gründet Friedrich Buderus I mit dem ihm zugefallenen Hütten- und Grundbesitz die Fa. L. Fr. Buderus Audenschmiede. Die Audenschmiede scheidet damit aus dem geschichtlichen Rahmen der Buderus’schen Eisenwerke aus. Für sie bedeutete die Zugehörigkeit zu den Buderus’schen Eisenwerken 70 gute Jahre „eine glänzende Zeit“. Als Kernstück eines privatkapitalistischen Unternehmens war sie voll und ganz an dieser Entwicklung beteiligt. Unter der jetzt völlig selbständigen Leitung von Ludwig Friedrich Buderus I wird der bestehende Hochofen nach fast dreihundertjährigem Bestehen im Jahre 1877 endgültig niedergefahren. Bereits in den sechziger Jahren hatte sich die Unterlegenheit des Holzkohleverfahrens gegenüber dem inzwischen auch an der Lahn betriebenen Koksverfahren abgezeichnet. Auch Friedrich Buderus I musste dies erkennen und anerkennen. Von 1877 an beschränkt er sich auf die Herstellung „von Gusswaren zweiter Schmelzung“. Die Zahl der Beschäftigten schwankt damals zwischen 35 und 52 Mitarbeiter. 

Nach dem Tode Ludwig Friedrich Buderus I. am 28. März 1888 geht die Audenschmiede auf seinen gleichnamigen Sohn über. Aber alle Versuche diesen „mehr musisch“ veranlagten Hüttenherren, die von ihm „so heißgeliebte Audenschmiede“ vor dem Untergang, der in ihrer Randlage bedingt war, zu bewahren, sollten sich als vergeblich erweisen. Wenn unter seiner Führung das Werk trotz allen guten Willens nicht mehr den Anschluss fand, der allein ein Überleben hätte sichern können, so war Friedrich Buderus II dennoch keineswegs ein der Sorge erdrückter Fabrikherr.

Die Audenschmiede zu Anfang des 20. JahrhundertsUTM Koordinaten: 32U 456670.578 5584335.973Plus Code (Google): 9F2CC95R+Q3

Eine im Jahr 1910 durchgeführte erneute Umwandlung der jetzigen Firma in „L. Fr. Buderus GmbH“, bringt auch nicht den erwarteten Aufschwung. Friedrich Buderus II erstellt ein Wohnhaus direkt gegenüber dem neuen Turbinenhaus, dem das Wasser der Weil auf Umwegen zugeführt wird. Im Kriegsjahr 1916 wird der zum Maschinenhaus gehörende Turm hochgebracht, der aber sechzig Jahre später, am 14. Februar 1976, wegen „Altersschwäche“ gesprengt werden musste.

Dieser Ausbau des Werkes „in letzter Stunde“ war nicht mehr in der Lage, die vorgegebene geographische und auch so nachteilige Randlage der Audenschmiede zu überwinden. Dies alles war nur der Versuch sich gegen den drohenden Abstieg des Werkes zur Bedeutungslosigkeit zur Wehr zu setzen. Es fehlte ganz einfach ein größerer Verbund mit eigener Gusserzeugung. 

Doch noch immer gibt sich Friedrich Buderus II nicht geschlagen. Er, der eingefleischte Junggeselle, ohne leibliche Nachkommen, kämpft für „seine Audenschmiede“, mit der er mit jeder Faser seines Herzens verhaftet ist. Wohl wurde so noch in den Kriegsjahren 1914/18 für die kämpfende Truppe Material gegossen und geliefert, doch das war die letzte Tätigkeit des Werkes Audenschmiede unter dem Hüttenherren „Buderus“.

Sein Vater, jener eigensinnige Friedrich Buderus I hatte 1836 die Tochter des Hüttenverwalters auf der Audenschmiede, Luise Bärtsch, geheiratet. Friedrich, später von seinen Nichten nur „Friedel“ genannt, war das jüngste der aus dieser Verbindung stammenden Kinder. Sein älterer Bruder Heinrich starb lange vor ihm. Er selbst wurde am 23. September 1849 geboren. Seine beiden ältesten Schwestern suchten sich zwei Brüder fürs Leben aus. Emilie, die Älteste, schloss am 2. Juni 1857 im Alter von zwanzig Jahren die Ehe mit Dr. med. Moritz Büsgen, Leibarzt des Erzherzogs Stephan auf der Schaumburg bei Balduinstein a. d. Lahn, preußischer Geheimrat, Sanitätsrat und Luxemburgischer Hofrat. Hofrat Büsgen starb am 22. November 1914. Sein um zwei Jahre jüngerer Bruder, Albert Friedrich Büsgen, hatte sich die zweitälteste Schwester, Dorothea, Dorett genannt, ausgewählt. Sie heiratete am 29. Mai 1860 auf der Audenschmiede. Verwaltungsgerichtsdirektor Albert Büsgen starb 1900 in Wiesbaden, wo er lange Jahre tätig gewesen war. Der einzige Sohn aus dieser Ehe war der am 13. September 1914 an den Folgen seiner schweren Verwundung an der Westfront gestorbene Major Fritz Büsgen.

Frau Dorothea Büsgen starb 1925 auf der Audenschmiede. ihre zweitälteste Tochter Else, das „gnädige Fräulein“ oder auch „Freilein Bisschen“ genannt, überlebte Mutter und Onkel. Sie schloss 1948 für immer die Augen. Lange Jahre hat sie dann mit der ihr treuergebenen Hausdame, die mehr als fünfzig Jahre in der Familie tätig war, das einstige Herrenhaus der Buderus bewohnt. Sie war traditionsgebunden, eine große, schöne Erscheinung, so recht der Inbegriff der „Grande Dame“                                                                  

Bereits zu ihren Lebzeiten – nach 1945 – hat sie dann das Haus der Ahnen mit Familien geteilt, die gegen ihren Willen ihre angestammte Heimat im Osten unseres Vaterlandes verlassen mussten. 1968 wurde das altehrwürdige Haus in eine Pension verwandelt.

Mit Friedrich Buderus II. verstirbt 1919 der letzte Hüttenherr der den Namen Buderus trägt

Am 9. Juli 1919, einem Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, dessen Ausgang für einen so kaisertreuen Anhänger wie Friedrich Buderus II schlechthin nicht zu überwinden war – nachdem ihm im Jahr 1914 dieser gleiche Krieg den möglichen Erben und Nachfolger, seinen Neffen Major Fritz Büsgen, weggenommen hatte – schloss der letzte Buderus auf der Audenschmiede für immer die Augen.                                                                            

Kein Nachkomme des Namens war vorhanden, das Werk zu übernehmen. Der Name des Geschlechtes Buderus verschwindet an diesem Tag für immer aus den Annalen der Geschichte der einstigen Waldschmiede, die sich, in welcher Form auch immer und unter den verschiedensten Herren, fünfhundert Jahre gehalten hat.

Versuche seiner Schwester, später seiner Nichte, im Andenken an die Vorfahren, das Werk in irgendeiner Form zu erhalten, scheitern, es war vergebens. Die Inflation der zwanziger Jahre tat das ihre. Die Eisengießerei Audenschmiede kam 1930 endgültig zum Stillstand. Eine für die Geschichte der Eisenindustrie in Nassau bedeutende Epoche war zu Ende gegangen.   

Die Audenschmiede - Vom Werden und Vergehen der 1434 im Weiltal errichteten Waldschmiede - Teil 6 von 6 – Die Zeit der Eisengießerei Arthur Hopp    

Von H. W. Büsgen - Redigiert von Heribert Domes, 2022

Doch in den alten Mauern wisperte der Geist einstiger schaffensfreudiger Waldschmiede, der Unternehmergeist vieler Männer wie Wilkens, Kraft, Sorge und andere der vergangenen Jahrhunderte. Wie Phönix aus der Asche ersteht erneut die „alte Gießerei auf der Audenschmiede“. 

Die Audenschmiede im Jahre 1936Bild: Archiv Heimatverein WeilmünsterUTM Koordinaten: 32U 456751.452 5584414.928Plus Code (Google): 9F2CC96R+3G

Im Jahr 1936 erwirbt der Düsseldorfer Fabrikant Arthur Hopp, der in Hamm bereits eine Gießerei betrieb, das völlig darniederliegende Werk Audenschmiede. Nach unendlich mühevoller Aufräumarbeit, zu Beginn mit nur kleiner Belegschaft, kommt das von ihm geleitete Werk jedoch erst unmittelbar nach 1945 so recht in Schwung.

Daran hat die große Zahl der Männer und Frauen wesentlichen Anteil, die aus den verlorengegangenen Ostgebieten vertrieben, auf der Audenschmiede nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat und Arbeit gefunden hatten. Hopp, der sich gänzlich auf die Herstellung dünnwandigen Gusses für Klosettspülkästen der vielfältigsten Typen spezialisiert hat, gehört sehr bald zu den führenden Firmen seiner Branche. Zusätzlich stellt er in seiner Messinggießerei und Dreherei die dazu benötigten Armaturen her.

Im eigenen, großen Emaillierwerk werden die Spülkästen mit säurebeständiger Glasur überzogen. In der Blüte des Betriebes gibt eine Belegschaft von nahezu dreihundert Beschäftigten beredtes Zeugnis von dem energischen Einsatz und dem kaufmännischen Geschick des neuen Fabrikherren. Nicht nur im Inland, auch im europäischen und überseeischen Ausland sind die Spülkästen Hopp’scher Produktion gefragt.

Arthur Hopp baut eine Wohnsiedlung für seine Mitarbeiter

Maurerkolonne der Firma Wilhelm Metzler beim Bau der Reihenhäuser für die Eisengießerei Arthur Hopp im Jahr 1953Hintere Reihe stehend: 1. Von links: Wilhelm Metzler, 7. Karl Hautzel, 11. Willi JasmundSitzend von links: Ernst Walter Heigel, Werner Schwing

Um seine Belegschaft möglichst eng an das Werk zu binden, lässt Arthur Hopp zu Beginn der fünfziger Jahre fünf Wohnblocks mit insgesamt zweiunddreißig Wohnungen errichten, womit er sich eine zuverlässige Stammmannschaft sichert.

In früher Erkenntnis, dass der unaufhaltsam voranschreitende Kunststoff auch vor der Gießerei nicht haltmachen wird, stellt er zu Beginn der sechziger Jahre eine Kunststoffpresse auf und bringt damit sehr früh einen Klosettspülkasten aus Kunstfaser auf den Markt.

Der Kunststoffguss löst den Eisenguss ab

Um aber auf diesem Gebiet mit der Konkurrenz im Bundesgebiet Schritt halten zu können, hätte es großer und sehr bedeutender Investitionen bedurft. Hier aber werden dem rührigen Fabrikanten und wendigen Kaufmann Grenzen gesetzt, die der jetzt Siebzigjährige nur allzu genau erkannte. Ohne leibliche Nachkommen, entschließt sich Arthur Hopp, wenn auch schweren Herzens, den Betrieb nach dreißigjähriger rühriger Tätigkeit, in denen er unzähligen Familien in Audenschmiede, aus Weilmünster und selbst der weiteren Umgebung jahrelang Arbeit und damit Lebensmöglichkeit geboten hatte, endgültig zu schließen.

1962 kommt das unerwartete „Aus“ für die Gießerei auf der Audenschmiede. Es wird ruhig, sehr ruhig in der kleinen Gemeinde. Noch ein Zeuge einstiger eifriger Tätigkeit verschwindet: „Am 27. September 1969 fährt der letzte Weiltalzug von Weilburg nach Grävenwiesbach“. Der Verkehr auf der Straße hatte schon Jahre vorher die Eisenbahn in ihrer Bedeutung für das Werk Audenschmiede weit in den Hintergrund gedrängt. Der Bahnhof, einst im berühmten „Darmstädter Stiel“ erbaut, wird geschlossen. Im Laufe des Jahres 1970 werden die Gleise demontiert. Ein weiteres Stück Geschichte geht zu Ende. Die Anbindung Weilburgs und der südlich an der Weil liegenden Gemeinden wird durch Linienbusverkehr gesichert. 

1972 verlässt der letzte Besitzer des eisenverarbeitenden Werkes der Audenschmiede „Arthur Hopp“ für immer diese Welt. Er wurde 80 Jahre alt. Einige Jahre zuvor hatte er die Gebäude seines Werkes noch an die Bundeswehr verpachtet, die in den Hallen ein Sanitätsdepot einrichtete. 


Die Grabstätte der Eheleute Elisabeth und Arthur Hopp auf dem Friedhof der Audenschmiede.UTM Koordinaten: 32U 456813.91 5583988.638Plus Code (Google): 9F2CC94R+GW
Auf dem Audenschmieder Friedhof finden wir dieses Grabdenkmal, das an den am 9. Juli 1919 verstorbenen letzten Hüttenherren, der den Namen Buderus trug, erinnert.

Der Automobilzulieferant Kammerer erwirbt 1973 die Eisengießerei Hopp.

Im Jahr 1973 erwirbt die Fa. Kammerer, ein Spezialunternehmen und Zulieferant für die Automobilindustrie mit Sitz in Oberursel das Gelände der Eisengießerei Arthur Hopp. Aber erst 1977 kann die Firma an die Einrichtung und Inbetriebnahme des Werkes  Audenschmiede gehen. Die Energiekrise und die Rezession hatten das Vorhaben, diesen Betrieb auszudehnen, vorerst auf Eis gelegt.

Jetzt aber, im Jahre 1981, floriert das Unternehmen und gibt vielen Menschen in Audenschmiede und Weilmünster Arbeit und Verdienst. Wenn nun auch das altehrwürdige Eisenhüttenwerk nach mehr als fünfhundertjährigem Bestehen nur noch der Geschichte angehört, so scheint die Erde, auf der die einstige Waldschmiede errichtet wurde, scheinen die Gemäuer des Hochofenbetriebes aus grauer Vorzeit und der Gießerei unter Männern eines der Stämme Buderus, unvermindert Lebenskraft auszuströmen.

So lebt die Audenschmiede nach mehr als fünfhundert Jahren als Erwerbsquell ungezählter Männer und Frauen unserer Großgemeinde weiter, in deren Verbund sie vor nunmehr dreißig Jahren als einer der ältesten Ortsteile aufging. Ihr wechselvolles Schicksal wurde von dem Bestehen einer Waldschmiede, dann einer Hochofen-Eisenhütte und später einer Gießerei sowie von der Persönlichkeit der jeweiligen Hüttenherren bestimmt und geprägt.

Das 1799 von Bergrat Johann Wilhelm Buderus II errichtete Wohnhaus, ein Lagerhaus mit Glockenstuhl, dessen helles Glöcklein so manchen Einwohner von Audenschmiede auf seinem letzten Gang begleitete und auch das Grab von Friedrich Buderus II, des letzten seines Stammes, erinnern noch heute an die Ära dieser Familie, deren männliche Vertreter den Namen der kleinen Gemeinde im Weiltal weit über die Grenzen der einstigen Grafschaft hinaus bekannt gemacht haben.

Arthur Hopp, der wie der letzte Buderus, auf dem Audenschmieder Friedhof seine Ruhestätte fand, ist es zu verdanken, dass die Audenschmiede sich mit den von ihm errichteten Werkswohnungen, in der Mitte den 20. Jahrhunderts, vergrößern konnte, noch einmal als Eisengießerei in fast unmittelbarer Fortsetzung der Tätigkeit früherer Hüttenherren von sich reden machte. Waldschmiede und Mitgewerkern, Gießer und Former, Hüttenherren und Besitzer haben hier gelebt und gewirkt. Sie selbst sind dahingegangen, doch ihre Namen, vor allem aber ihre Bedeutung für die Eisenindustrie in Nassau sind festgeschrieben, im Buche der Geschichte der Audenschmiede bei Weilmünster.

Weilmünster im 16. und 17. Jahrhundert

Frei nach den Aufzeichnungen von Robert Dann, „Weilmünster im Wandel der Zeit“Redigiert von Heribert Domes 2023

Im März 1584 ist von 167 Gemeindebürgern des Marktfleckens die Rede, während Rauchs Einwohnerliste von 1588 nur 118 Unterschriften enthält. Vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) sind auch die Hauptverteidigungsanlagen des Marktfleckens, die Mauer mit den 3 Türmen und den beiden Toren angelegt und die erste steinerne Brücke über die Weil erbaut worden. Zwar war mit den Verteidigungsanlagen schon 100 Jahre früher begonnen worden. Als aber kurz vor 1600 der Ortsteil Hunstadt (Hußdet) neu entstanden war, musste die Befestigung (1607/08) über den Bleidenbach vorgeschoben und einem Marktort entsprechend wesentlich verstärkt werden. Reste derselben sind heute noch vorhanden, so der untere etwa 6 ½ m hohe Teil eines kreisrunden Wehrturms, hoch über dem Ort auf dem Rand des steil vorspringenden Kirbergs, der sogenannte „Römerturm“, dessen Standort um 1900 noch allgemein Römerberg genannt wurde. 

Der Turm hat einen äußeren Durchmesser von 6,40 Meter. Die Mauer rundum ist 2,20 m dick und der lichte Innenraum etwa 2 m im Durchmesser. Von außen war der Turm damals nicht zugänglich, jedoch behauptet die Überlieferung, es habe vom Fuß des Berges aus ein unterirdischer Zugang in das Innere seiner Ringmauer bestanden. Reste der Ringmauer sind noch am Westabhang des Kirbergs zu sehen. Zwei weitere Türme flankierten rechts und links in der zum Ort absteigenden Mauer den „Römerturm“. Dann ist noch eines der beiden Tore, das Untertor, die sogenannte „Weilpforte“, vorhanden. Ende der 1920er Jahre wurde es wegen des zunehmenden Verkehrs bedeutend verbreitert. Außer diesem Tor gab es noch ein weiteres, die sogenannte „Laukeltpforte“, auch Obertor genannt, dort wo früher die Eisenbahnbrücke die Hauptstraße überspannte. Reste davon und von der anschließenden Ringmauer sind beim Eisenbahnbau 1890 abgebrochen worden. Die Südseite von „Alt Weilmünster“ reichte damals bis etwa an die heutige Kreuzgasse. Da dort sich kein Tor befand nannte man diesen Ortsteil früher „Im Sack“. 

Weilmünster hatte damals nicht die Ausdehnung wie heute. Es reichte von der Kreuzgasse, die früher Sackgasse hieß und der Schaumgasse bis etwa zu der in den 1970er Jahren abgerissenen Eisenbahnlinie. Nach dem 30-jährigen Krieg wurden anfänglich noch die Mauern in Ordnung gehalten. Als aber am Ende des 17. Jahrhunderts sich dann der Ort nach Süden bedeutend erweiterte, begann man zunächst dort mit dem Durch- und später mit dem Abbruch der Mauer. 

Es entstand zuerst der Ortsteil Neustadt (Neustedt) an dieser Stelle. Im Jahre 1687 wird schon die Neugasse in der Neustadt von Weilmünster urkundlich erwähnt. Im 18. und 19 Jahrhundert verfiel die Stadtmauer mit ihren Wehrtürmen. Leider haben die starke Mauer und die anderen Verteidigungsanlagen des Marktfleckens, in die auch das Wasser der Weil, des Bleidenbachs und das Stauwasser des Froschgrabens, der in alter Zeit noch in seinem unteren Teil Wallgraben hieß, einbezogen waren, nicht verhindern können, dass der Ort besonders schwer von den Schrecken des 30-jährigen Krieges mitgenommen wurde. Doch fehlen uns darüber ausführliche Dokumente. Es sind nur einzelne Kleinigkeiten aus jener Zeit überliefert:

1. Dass Pfarrer Wilhelm Rauch 1634 bei der Plünderung Weilmünsters durch das „Kaiserliche Korps Mansfeld“, seinen silbernen Becher, ein teures Erbstück seiner Vorfahren, als Kontribution abliefern musste.

2. Dass der Kurier des Fürsten von Leiningen-Westerburg an der Frankfurter Straße bei Dietenhausen „auf der Weilmünsterer Heyde, dort wo das Birkengesträuch ist“, überfallen und ausgeplündert wurde.

3. Dass das Kroatenregiment des Oberst Görzenich 1626, nach gescheitertem Versuch Weilmünster zu stürmen, die „Neue Hütt“ (später Blumenmühle) ausgeplündert und von dort 100 Öfen in die Grafschaften Wied und Sayn verschleppt hat.

Am „Heidenrain“ sollen damals die Kroaten ihre Zelte vor dem Angriff auf Weilmünster aufgeschlagen

haben. Während des Krieges hat Weilmünster, wie das ganze Nassauer Land, sehr schwer gelitten. Man nimmt an, dass außer der Kirche, nur ganz wenige Bauten der Zerstörung durch das kaiserliche Korps Mansfeld 1634 entgangen sind.

Überhaupt rieb der Krieg die Bevölkerung Weilmünsters und seiner Kirchspielorte immer mehr auf. Im Jahre 1639 wurden in Weilmünster nur 4 Kinder und 1641 nur 5 Kinder geboren. Im Jahre 1640 war anscheinend in Weilmünster und seinen Kirchspielorten kein Kind zur Welt gekommen. Jedoch stieg bereits im letzten Drittel des Krieges die Einwohnerzahl in unserer Gegend allmählich wieder an. Beim Herannahen von Kriegsscharen flüchteten die Bewohner unserer Heimat in die Wälder, so in Rohnstadt in den „Hofwald“. Ihre beste Habe hatten sie in Zeiten der Gefahren dort in die Kistenlöcher versteckt. Inzwischen hatten die Wölfe stark überhandgenommen. So hat Pfarrer Depmar in die Kirchenbücher Weilmünsters eingetragen, dass er am 10. August 1661 den 10jährigen Sohn des Erhardt Müller aus Aulenhausen und am 7. Oktober 1661 den 6jährigen Sohn des Johann Georg Ernst aus Lützendorf auf dem Friedhof in Weilmünster beerdigt hat, da beide Kinder in der Nähe ihrer Heimatorte von Wölfen ums Leben gebracht worden waren. Auch in Rohnstadt wurde 1661 ein Kind von Wölfen zerrissen.

Die Bürger von Weilmünster kämpfen im 17. Jahrhundert um ihre Freiheit

Im 17. Jahrhundert fassten die Einwohner Weilmünsters den Kampf ihrer Vorfahren mit dem Grafen Albrecht als eine strenge Mahnung und ernste Verpflichtung auf, es den Vorfahren gleichzutun. Schon mehrmals hatte sich Weilmünster im 17. Jahrhundert bemüht, einen Freiheitsbrief zu erhalten. Anfänglich scheiterte dieses Streben an Geldschwierigkeiten. Es ist kein Wunder, dass der aufstrebende Ort in seiner Wertgeltung nicht hinter der Residenzstadt Weilburg zurückstehen wollte, als diese 1685 in einem Freiheitsbrief ihre Stadtfreiheiten und Rechte neu bestätigt erhielt. Die Verhandlungen haben sich lange Jahre hingezogen, da die Aufbringung des Loskaufgeldes der Bürgerschaft nicht leicht gefallen ist. Nur durch das Verhalten der 100 unversöhnlichen Weilmünsterer Bauern die 1584 bis zum bitteren Ende dem Landesherrn Widerstand geleistet hatten, war es der Gemeinde Weilmünster möglich, am 8. Oktober 1686 an den Holzhändler Bernhard Greving aus Wetzlar 2000 Eichenstämme aus dem von Graf Albrecht begehrten Waldgebiet östlich von dem Gebirgssattel an der „mittleren Mött“, dem Buhlenberg, zu verkaufen. 

Greving hat damals als erste Abschlagszahlung für den „Weilmünsterer Freiheitsbrief“ 6000 Reichstaler a` 45 Albus gleich 9000 Gulden a` 30 Albus an die gräfliche Kanzleikasse in Weilburg entrichtet. Der am 23. Juni 1350 von Graf Johann von Nassau-Merenberg der Gemeinde Weilmünster geschenkte „junge Bulhenberg“, den die Einwohner Weilmünsters über 300 Jahre treu gehegt und gepflegt hatten und den sie 1586 vor dem Zugriff ihres Landesherrn „Graf Albrecht“ gerettet hatten, ermöglichte dieses Werk. Jeder Bürger Weilmünsters haftete damals mit seinem Privatvermögen für die Durchführung des „Holzverkauf-Kontraktes vom 08. Oktober 1686“ der Grundlage zum Kauf der Freiheit war. Aber nicht nur finanzielle Opfer verlangte dieser Vertrag. Unter großen Mühen mussten die 2000 Stämme, „ganz tüchtige Bäume“, für jeden von ihnen zahlte Greving nur 3 Taler, von den Bürgern Weilmünsters in Gemeindeforstarbeit gefällt und dann noch von den Einwohnern des Marktfleckens mit Gespannen aus dem Wald heraus über die Frankfurter Straße nach Weilburg an den Fuß des Gensbergs befördert werden. Erst hier nahm der Holzhändler Bernhard Greving diese auserlesene Ware, den Stamm zu 3 Talern in Empfang. Wenn man bedenkt, in welchem schlechten Zustand damals die Frankfurter Straße und besonders erst die Waldwege in unserer Gegend waren, kann man verstehen, was das für eine mühevolle Arbeit war. 2000 Gulden hatte damals der vornehme Hüttenherr Johann Georg Julius Kraft als zweite Abschlagszahlung an den Grafen vorgestreckt. Der Rest (1000 Gulden) ist, wie noch vorhandene Schriftstücke ausweisen, bei einem auswärtigen Gläubiger zu 5% Zinsen geliehen worden.

Am 24. Dezember 1695 erhielt Weilmünster von Graf Ernst den langersehnten Freiheitsbrief

Jeder Bürger haftete mit seinem Privatvermögen für diese beiden letzten Anleihen. Alle diese Taten stellen ein Zeugnis vorbildlichem Gemeinschaftssinnes und großzügigem Emporstrebens einer stolzen freiheitsliebenden Bürgschaft dar. Am Heiligen Abend 1695 erhielt Weilmünster von Graf Johann Ernst aus „tragender landesväterlicher Liebe“ den langersehnten Freiheitsbrief. Neben der Leibeigenschaft wurde Weilmünster von allen niederen staatsbürgerlichen Pflichten entbunden. Der Landesherr, der in Geldnöten war, weil die vielen Kriege im 17. Jahrhundert und die zahlreichen Bauten in Weilburg viel Geld gekostet hatten, gewährte für 12.000 Gulden Weilmünster diese Freiheiten. So war es nun den Bürgern von Weilmünster durch große Mühe und sehr schwere finanzielle Opfer gelungen, die Befreiung von der Leibeigenschaft und weitere Stadtfreiheiten zu erringen. Das Original dieses interessanten verfassungsrechtlichen Dokumentes befindet sich heute noch im Archiv der Gemeinde Weilmünster. Die Urkunde besteht aus 4 Bogen starkem Pergamentpapier. Sie ist handschriftlich ausgefertigt und auf der ersten Seite sehr eigenartig ausgeführt und mit einer schweren 4 Millimeter dicken grün-weiß-roten Seidenschnur geheftet. An der Schnur hängt eine gedrechselte und geschnitzte runde Holzkapsel von 11 cm Durchmesser und 3,5 cm Dicke, in welcher sich das vollständig erhaltene Siegel von 6,5 cm Durchmesser befindet. In diesem Freiheitsbrief vom 24. Dezember 1695 grenzte nun Graf Johann Ernst die neuen Rechte und Pflichten der Bürger von Weilmünster ab.

1957 - Entdeckung im alten Kirchturm der ev. Kirche Weilmünster

Flaschenpost bei der Abnahme des Weilmünsterer Posaunenengels gefunden

Aus Berichten des Weilburger Tageblattes redigiert von Heribert Domes 2023

Im Zuge der Renovierungsarbeiten am Turm der evangelischen Kirche in Weilmünster im Jahr 1957, musste das gesamte Turm-Dach abgetragen werden. Bei Beginn der Arbeiten war man der Meinung, man brauche sich nur auf die Neubefestigung des etwa 16 Zentner schweren Posaunenengels zu beschränken, der das Turm-Dach ziert. Es stellte sich aber damals heraus, das gesamte Gebälk des oberen Turmdaches war erneuerungsbedürftig. Ein Weilmünsterer Zimmerergeschäft hat den neuen Dachstuhl für den Turm aus Eichenholz angefertigt.

Bei der Abnahme der Turmspitze machte man eine interessante Entdeckung. In der kupfernen Kugel unter dem Wetterkreuz des Turmes fand man eine Flasche, die eine alte Urkunde enthielt. Sie war von dem im Jahre 1855 in Arfurt geborenen Peter Franz Loew geschrieben worden, der 1878 das bis in die 1960er Jahre von seinem Enkel Dr. Ernst Loew geleitete Kaufhaus in Weilmünster gründete. Die Urkunde ist mit dem Datum vom 08.August 1904 versehen. In ihr ist vermerkt, dass der Turm der Weilmünsterer evangelischen Kirche damals von dem Dachdeckermeister Bausch aus Weilburg repariert und umgedeckt wurde. Außerdem enthält das Schriftstück eine Schilderung der allgemeinen Verhältnisse, wie sie um die Jahrhundertwende in Weilmünster bestanden haben.

Diese Urkunde wurde in der kupfernen Kugel unter dem Wetterkreuz gefundenDokument: Archiv, HVW e.V.

In der Urkunde ist zu lesen:

„In diesem Jahr ist die Heuernte sehr gut ausgefallen, hat aber, nachdem dieselbe bei günstigem Wetter gut eingebracht worden war, von da bis heute nicht geregnet, so dass allenthalben große Dürre ist; trotzdem ist hier kein Mangel. Ochsenfleisch kostet 72 Pfennige, Schweinefleisch, das seither resp. im Frühjahr bis zu 58 Pfennige zurückgegangen war, 70 Pfennige pro halbes Kilo, Eier 6 Pfennige pro Stück, Brod, 2 Kilo Kornbrod, 42 Pfennige, zwei Kilo Langbrod (Weißbrod) 49 Pfennige.  Neue Kartoffeln, die von Friedberg (Hessen) bezogen werden, kosten 50 Kilo im Sack 3,50, zwei Kilo 4 Pfennige. Hier werden Frühkartoffel nur für den eigenen Verbrauch und meistens nur in den Gärten gepflanzt, Rote Rosenkartoffel sind eben prima. Zucker, weißer, wird bei Brod zu 21Pfennige, bei zweieinhalb Kilo zu 22 Pfennige verkauft.

Im Allgemeinen sind die Verhältnisse Weilmünsters, welches etwa 1600, mit der Anstalt 2500 Einwohner zählt, als gut zu bezeichnen. Comunalabgaben (Steuer) gibt es hier nicht, trotzdem die Gemeinde vor 3 Jahren die Wasserleitung für etwa 80 000 Mark baute und auch eben sämtliche Straßen neu mit Basalt-Pflaster belegt werden. Die Pflasterung machte ein Meister, Jost, (Gründer des heutigen Tiefbauunternehmens W. Jost) derselbe stammt aus Gaudernbach und hat im Frühjahr eine Tochter vom Schuhmacher Erbe geheiratet. Die Ausgaben werden mit Holzgeld 50 000 Mark, - im Jahr 1903/04 und aus 12-15 000 Mark Bruchzins von Hohenstein, wo die Firma Grösser und Söhngen ca. 100 Leute beschäftigt, bestritten“. 

Am 22.07.1957 berichtete das Weilburger Tageblatt

Wie eine chinesische Pagode bietet sich dem Besucher zur Zeit der Turm der evangelischen Kirche in Weimünster dar. Er wurde, soweit er den Dachfirst des Kirchenschiffes überragt, in ganzer Höhe bis obenhin zum Turmknauf eingerüstet, eine Arbeit, die viel Mühe und Umsicht erforderte und unter der Anleitung des 62 jährigen Dachdeckermeisters Rudolf Weil ausgführt worden ist, unter dessen Aufsicht auch die weiteren Arbeiten durchgeführt werden. Das Gerüst dient nicht nur für die Ausbesserung des kirchturmknauftragenden Gebälks und für die neue Eindeckung des Kirchturms, sondern auch zur Abnahme des die höchste Kirchturmspitze zierenden Engels, der aus Eisenblech angefertigt, 1,35 m groß und rund 18 Zentner schwer ist.

Bild links, die reparaturbedürftige Windrose, die den 18 Zentner schweren Engel trägt.Bild rechts, die evangelische Kirche Weilmünster mit dem eingerüsteten KirchturmFoto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Unter der Last dieser schwerwiegenden Engelsfigur hatte sich die Kirchturmspitze in der letzten Zeit bedenklich geneigt und es bestand die Gefahr, dass eines Tages bei einem starken Windstoß die ganze Zierde des Weilmünsterer Kirchturms herabstürzen und größeren Schaden anrichten könnte. Um dieser Gefahr vorzubeugen, wurde seinerzeit von der Gemeindevertretung der Beschluss gefasst, den Kirchturm-Engel zu demontieren und neu zu befestigen, da die Zivilgemeinde nach einem herkömmlichen Recht zur Unterhaltung und notwendigen Reparatur des Kirchturms verpflichtet ist.

Gemeinsam mit dem Bürgermeiste Benz stieg der Zeitungsreporter dem Weilmünsterer Kirchturm aufs Dach und weiter bis oben hin unter den Turmknauf. Im nachfolgenden Bild ist die Windrose sichbar, die den schweren eisernen Engel trägt. Es zeigte sich, dass es höchste Zeit gewesen ist den Kirchturm reparieren zu lassen, da der äußerste hölzerne Knauf im Laufe der vielen Jahrzehnte, da er die schwere Last der Turmspitze trug, unter dem Einfluss von Wind und Wetter stark angeneigt worden war. Eines Tages wäre er bestimmt unter der schweren Last zusammengebrochen. 

Auch die zum Knauf emporstrebenden hölzernen Aufschieblinge der Kirchturmspitze sind, wie im Bild links deutlich zu erkennen ist, zum Teil erneuerungsbedürftig. Notwendig wird auch die Neueindeckung des Schieferdaches werden, da der jetzige Dachschiefer größtenteils unter den jahrelangen Witterungseinflüssen mürbe und bröckelig geworden ist. Das letzte Wort in diesen Fragen hatten die Vertreter des Kreisbauamtes und der Landeskonservator, dem die etwa 500 Jahre alte Weilmünsterer Kirche als wertvolles Kultur- und Kunstdenkmal zur Betreuung untersteht. 

Schlossermeister Rudi Schwarz auf seinem Seitenwagen – Krad während der Kirchturmreparatur 1957Foto: Archiv, HVW e.V

Sobald die Erneuerungsarbeiten am Kirchturm in Weilmünster soweit sein werden, dass der Kirchturmengel wieder seinen alten Platz einnehmen kann, soll nach Mitteilung von Bürgermeister Benz zu der alten Urkunde eine Ergänzung mit Hinweisen auf die gegenwärtigen Zeitverhältnisse in die Kirchturmkugel gelegt werden.

Eine zweite Urkunde, im September 1957 verfasst und unterzeichnet von Bürgermeister Wilhelm Benz und Gemeindeinspektor August Pletz, ist in einer Kupferhülle, die der Spenglermeister Christian Jung, Weilmünster, Hauptstraße angefertigt hat und kostenlos zur Verfügung stellte, gemeinsam mit der erwähnten ersten Urkunde von 1904 in die Kirchturmkugel gelegt worden.

Da der Inhalt der 1957 angefertigten Urkunde sehr umfangreich ist konnte sie in dem heutigen Artikel nicht veröffentlicht werden, ist aber für die interessierte Bevölkerung im Archiv des Heimatvereins Weilmünster e.V. einzusehen.   

Die 50er Jahre

Zum 25. Jubiläum des Heimatvereins Weilmünster am 21.04.2013 von Rudi Czech, Jahrgang 1926 vorgetragenRedigiert von Heribert Domes, 2023                                 

Goude und herzlich willkommen liebe Leser, Freunde der Mundart und Liebhaber alten Brauchtums. Lassen Sie uns ein wenig an die 50er Jahre des verflossenen Jahrhunderts erinnern. War doch die Zeit nach dem schrecklichen Krieg ein Aufbruch in völlig neue Dimensionen, Empfindlichkeiten und Lebensumstände. Alles wurde irgendwie anders, die Menschen, die Arbeit, die Möbel, die Kleidung und die politische Gesinnung. 

Da gab es auf einmal nach den düsteren Tagen der Zigarettenwährung und des Schwarzhandels das neue Geld, nicht viel, aber man konnte etwas damit anfangen und es gab Zuversicht und Hoffnung. Ein Beispiel, dass man an die Zukunft glaubte, liefert folgender Beweis! Am Tage der Währungsreform, jeder erhielt gerade einmal 40 DM, gingen 7 vergnügungssüchtige Besucher bei einem Eintrittspreis von 80 Pfennige in Weilmünster ins Kino. Wenn das kein hoffnungsfroher Auftakt war!

Plötzlich schien alles da zu sein, es kamen neue Möbel ins Haus, in der Küche prangte ein neuer Schrank in Pastelltönen mit bunten Tassen und farbigen Tellern. Um den Küchenauszugstisch mit eingebautem Geschirrspülbecken standen kunststoffbezogene Stühle in den grellsten Farben, picassogeschuldete neue Vorhänge hingen an den Fenstern. Die „Wohnstubb“, falls es schon eine gab, zierte eine kleine Couch, ein Nierentisch, umstellt von lehnenlosen Cocktailsesseln, das Ganze beleuchtet von einer hochmodernen Tütenlampe.

Es gab neue Kleider mit attraktiven, fantasieanregenden, schwingenden „Petticoats“ und als Gipfel der Modernität die Nylon- oder Perlonstrümpfe. Ja sogar welche nahe der Frivolität angesiedelte und mit deutlich sichtbarer Naht versehen, die aber auch Katastrophen auslösen konnten, wenn sich da eine Laufmasche zeigte. Deshalb hatte fast jede Frau Nagellack oder UHU-Kleber in ihrer Handtasche um diesen peinlichen Schönheitsverlust zu beheben.

Es gab völlig neue Frisuren, die Dauerwelle dampfte durch die Frisörsalons, die Locken mussten nicht mehr die Quälereien durch die Brennschere fürchten und es wurden viele alte Zöpfe abgeschnitten.

Die Mädchen hatten es satt, als bezopfte, germanische Rassejungfrauen herumzulaufen, obwohl oft deshalb der Haussegen schief hing, weil der strenge Vater seine vaterländischen Schönheitsideale nicht so schnell über den Haufen werfen konnte.

Auch die Männer ritten auf der Welle der neuen Zeit. Sie trugen grellbunte Nylonhemden, die allerdings den Nachteil hatten, dass man wie ein Affe zu schwitzen begann, da dieser Perlon-Nylon Stoff den hauteigenen Dampf nicht mehr durchlassen konnte. Doch die Rettung war schon da, der Duft von 4711 schwängerte die Luft und ermöglichte so den gepflegten Umgang miteinander.

Da es nur wenige Fernsehapparate gab, war das Ziel häufiger Vergnüglichkeit das Kino, ein Ort des händchenhaltenden engen Nebeneinanders – vielleicht schon die Voraussetzung für mögliche folgende Lustbarkeiten.

Die Wohnstubb der 50er Jahre eingerichtet mit Nierentisch, Cocktailsessel und TütenlampeFoto: Archiv Heimatverein Weilmünster e.V.

Den Stoff für die Sehnsüchte lieferten die Filme wie „Grün ist die Heide“, „Sie tanzte nur einen Sommer“ oder „Die Sünderin“. Der jeweilige Streifen war einfach Spitze, wenn das meist weibliche Publikum tiefgerührt, tränenüberströmt und mit sehnsüchtiger Hoffnung erfüllt, vom Freund, vielleicht dem zukünftigen Ehemann aus dem Kino geführt wurde.

Die frühen 50er Jahre kannten noch keine Waschmaschinen, höchstens eine Wäscheschleuder. Es gab für die „Babys“ noch keine „Pampers“, Mull und Moltontuch mussten nach Gebrauch auf dem Küchenherd ausgekocht, auf dem von Haus zu Haus gespannten Wäschedraht im Winde getrocknet werden, um für den neuerlichen Einsatz bereit zu sein.

Es wurde gebaut und es gab Badewanne und Toilette im Haus. Vorbei war die Zeit, wo in der Waschküche, in einer verzinkten „Wäschebütt“, die allgemeine Samstagsreinigung für alle Familienmitglieder praktiziert wurde. Eine Warmwasserfüllung musste zu dieser Zeit den hygienischen Bedürfnissen der gesamten Familie genügen.

Plötzlich flatterten die bebilderten Kataloge von „Neckermann, Quelle, Bader oder Witt-Weiden“ usw. ins Haus, in denen alle möglichen Sehnsüchte gebündelt zur Ansicht gestellt wurden. Auch die erste Motorisierungswelle rollte übers Land. Mofas, Mopeds, erste Lloyds und Goggos verpesteten lautstark die ganze Landschaft. 

Weilmünsterer Damen, gekleidet im Look der 50er Jahre während des autofreien Sonntags 2013Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Ganz besonders Mutige wagten sich bereits – obwohl es doch nur 6 Tage Jahresurlaub und kein Urlaubsgeld gab – ins Ausland. Sie besuchten zum Beispiel den Gardasee oder Südtirol und brachten von dort den Geschmack von Spaghetti und den Geruch von olivengetränkter Tomatensoße mit.

Das Wirtschaftswunder galoppierte erfolgreich über das deutsche Land. Sogar die Regierung in Bonn hatte einen Überschuss von 9 Millionen DM in ihrer Haushaltsbilanz. Deutschland wurde 1954 sogar Fußballweltmeister – was konnte uns da noch passieren?

Erinnern sie sich bitte freundlich und wohlwollend an die Vergangenheit und genießen Sie das Erscheinungsbild der 50er Jahre.     

Das historische Lichtspielhaus in Weilmünster

Der Saalbau BuchholzVon Rudi Czech erzählt, redigiert von Heribert Domes, 2023

Das Kino in Weilmünster gehört zu den ältesten Lichtspieltheatern in Deutschland. Dieser „Saalbau“ wurde 1907 neben dem Gasthaus „Zur Eisenbahn“ (Baujahr 1899) mit einem mächtigen Tonnengewölbe von der Familie Friedrich Buchholz sen. mit der Absicht und Hoffnung gebaut, ein Ort zu sein, in dem viele Veranstaltungen der verschiedensten Art stattfinden können.

Der Beginn des Lichtspielhauses liegt eigentlich weitere Jahre zurück und ist mit dem Bau der Heil und Pflegeanstalt Weilmünster 1895 – 1897 eng verbunden. Auf dieser Baustelle arbeiteten damals die beiden Vettern Wilhelm Buchholz als Bautechniker und Friedrich Buchholz, er war Metzger und Betreiber der Kantine, mit der er die hungrigen Bauarbeiter versorgte. Nach Fertigstellung der Heil- und Pflegeanstalt im Jahr 1897 war das lukrative Kantinenengagement von Friedrich Buchholz Vergangenheit und auch die Bautechnikertätigkeit von Wilhelm Buchholz auf dem Anstalt-Baugelände fand ein Ende. Beide konnten in dieser Zeit die Basis für weitere Aktivitäten schaffen.

Gemeinsam kauften sie in Weilmünster die sogenannten Beerenhecken und die Schulgärten. Es waren die Parzellen die auf der linken Seite der damaligen Bahnhofstraße (heute Hauptstraße) in Richtung Weilburg, gegenüber dem Bahn-Viadukt (ist leider heute abgerissen) gelegenen Flächen. 1899 begann Friedrich Buchholz mit dem Bau eines Gasthauses mit Beherbergungsmöglichkeit im Stil eines Fachwerkhauses.

Zeichnung von Rudi Czech            Gasthaus zur Eisenbahn                             Doppelhaus    1899 von Friedrich Buchholz erbaut            1899 von Wilhelm Buchholz erbautZeichnung: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

In unmittelbarer Nachbarschaft in Richtung Bahnhof errichtete damals Wilhelm Buchholz ein großes Doppelhaus. Anfang der 1900er Jahre, zog in die linke Hälfte des Hauses das Postamt Weilmünster ein und versah von dort aus bis 1985 seinen Dienst. Heute befindet sich, in den damals von der Post benutzten Räumen, das Dogan Café. Der Bau dieser beiden Häuser war der Beginn der Bebauung der damaligen Bahnhofstraße. 

Im Jahr 1907 entschied die Eisenbahnverwaltung den Weiterbau der Weiltalbahn in Richtung Usingen. Dazu war die Untertunnelung des Kirbergs notwendig. Während dieser Zeit beschloss die Familie Friedrich Buchholz, die treibende Kraft war vor allen Dingen Frau Buchholz, den Bau eines großen Saales der für alle möglichen Veranstaltungen genutzt werden sollte. Diesen Saalbau errichtete man links neben dem damaligen Gasthaus zur Eisenbahn in Form eines Tonnengewölbes mit aufwendiger Holzkonstruktion. Ausgewählt wurde diese Bauart damit man auf Stützpfeiler im Innenraum des Gebäudes verzichten konnte, ein gelungenes Bauwerk!

Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges konnte nun in diesem Saalbau getanzt werden und der 1903 gegründete Turnverein Weilmünster zeigte dort seine turnerischen Künste. Im Jahr 1912, während des in Weilmünster stattgefundenen 29. Gauturnfestes des Lahn-Dill-Gaus, fand das Geräteturnen an diesem Ort statt. Der neue Saalbau war ein Ort für Veranstaltungen unterschiedlicher Art. Der Gesangverein „Uhland“ und viele Gast-Gesangvereine ließen dort ihre mehr oder weniger gewaltigen Stimmen erklingen. Viel Narrenvolk, bei zahlreichen Maskenbällen, angefeuert von heimischen Musikkapellen tobten über den stabilen Bretterboden. Die Landwirtschaftsvereine jammerten vor zahlreichen Zuhörern über die miserablen Agrarpreise, politische Redner versuchten ihre patriotischen Ansichten ins rechte Licht zu rücken. Dieser Festsaal war genau das Haus, das alle oder zumindest viele gesellschaftliche Ereignisse des Marktfleckens beherbergen konnte.

Das 1899 von Friedrich Buchholz erbaute Gasthaus mit Herbergsbetrieb „Zur Eisenbahn“. Aufnahme aus dem Jahr 1992.Das Haus wurde 2011 abgerissen. An dieser Stelle befindet sich heute das „Historische Lichtspielgasthaus Pastori“  Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Leider dauerte die Euphorie nicht sehr lange an. 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und die Veranstaltungen im Saalbau Buchholz kamen zum Erliegen. Die Turner waren alle zum Wehrdienst eingezogen worden. Auch der Gesangverein Uhland stellte sein Singen ein, da er kaum noch Sänger hatte.

Die Familie Friedrich Buchholz war über das Angebot der damaligen Heeresverwaltung glücklich, diesen Saal als Lager, bzw. Silo anzumieten, um ihn mit Getreidevorrat zu füllen. Bewacht wurde dieses Getreidelager von einer Landwehreinheit, die auch im Gasthaus Zur Eisenbahn ihre Unterkunft fand.

Nach Ende des Krieges 1918, als der Silo-Saal wieder entleert worden war, stellte man fest, dass das lagernde Getreide die Wände des Saales etwa 30 cm nach außen gedrückt hatte. Nun war guter Rat gefragt. Der älteste Sohn Albert, der Familie Friedrich Buchholz, ein guter Handwerker und Meister installierte mehrere stählerne Zugzwingen und zog damit die Wände des Gebäudes wieder ins rechte Lot. Diese Stahlzwingen sind heute noch in dem 2013 wiedereröffneten restaurierten Kinosaal Pastori als historisches Denkmal sichtbar.

Schon 1919, nach Wiederherstellung des Buchholz-Saales, begannen in ihm erneut alle möglichen Lustbarkeiten. Es wurde wieder Theater gespielt und besonders erwähnenswert ist, Frau Buchholz eröffnete in diesem Jahr in dem erwähnten Saal ein Kino. Sie zeigte dem zahlreichen Weilmünsterer Publikum die ersten Stummfilme. Die Besucher bestaunten mit offenen Mäulern das bildhafte Geflimmer. Das war die Geburtsstunde eines Lichtspielhauses, dass bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat.

Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1919Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Eine Kabine zum Vorführen der Filme errichtete man an der gegenüberliegenden Seite der Bühne, dort wo der Froschgraben, ein kleines Bächlein das Grundstück querte. Gar manchmal gerieten die Filme im Projektor durch die starke Hitzeentwicklung in Brand. Das Wasser des Froschgrabens diente zur sofortigen Brandlöschung und Schadensbegrenzung. Albert Buchholz, der auch die erwähnten Zwingen zur Wiederherstellung des Saales  gebaut hatte, war der erste Filmvorführer im Buchholz-Kino. Später teilte er sich diese Aufgabe mit seinem jüngsten Bruder Fritz.

Gezeigt wurden Stummfilme von kurzer Dauer, kleine Filmchen, jedoch war das für die ländliche Bevölkerung eine Sensation. Von weit her kamen die Leute um dieses Ereignis zu genießen. Begabte Musiker spielten zu den Stummfilmen Klaviermusik, ab und zu trat auch mal ein Geiger auf. Die Familie Friedrich Buchholz hat in der damaligen Zeit sehr viel für die Weiterentwicklung ihres Kinos getan. Als man etwas später mit dem Kino Geld verdienen konnte, wurde sogar eine Musikbox angeschafft. Die gesamte Filmbranche steckte damals noch in den Kinderschuhen. Die Filme flimmerten noch lautlos über die Leinwand. 1929 kam der erste Tonfilm und die Familie Buchholz investierte in eine neue Vorführ-Apparatur und eine neue Leinwand. Das Kino entwickelte sich prächtig.

Auch die alten Lustbarkeiten, wie Sport und Spiel hatten wieder eine Heimstatt. Zauberkünstler narrten die Zuschauer, ja selbst Boxkämpfe lockten viele Kraftprotze an. Ab 1933 standen zahlreiche „braune“ Zeitgenossen auf der Bühne und hämmerten ihre Parolen in die alten und jungen Köpfe. Aber immer wieder liefen Woche für Woche die bewegten Bilder über die Leinwand. Es war und blieb das Kino, ein schummeriger Platz, der die händchenhaltende Zweisamkeit bis in die heutige Zeit ermöglichte.

Als der schreckliche 2. Weltkrieg 1945 mit all seinen Grausamkeiten ein Ende gefunden hatte, mussten die verbliebenen Mitglieder der Familie Buchholz den Amerikanern Platz machen, sie wurden aus ihrem Anwesen verwiesen, der Gasthof und das Kino waren verloren. Diese Gebäude sind von den Besatzern als Truppenquartier in Beschlag genommen worden und die bisherigen Besitzer mussten sich in den Nachbarhäusern eine Bleibe suchen. Nach dem Tod des Vaters Friedrich, im Jahr 1946, entwickelten die Familienmitglieder den Gedanken, mit dem jüngsten Bruder Fritz, er wohnte damals an der Bergstraße in Bensheim-Auerbach, Verbindung aufzunehmen. Sie baten ihn in Weilmünster mit dem Kino in eine neue Zukunft zu starten. Was ihm auch bald sehr gut gelang.

Obwohl in der Bevölkerung wenig Geld vorhanden war, wurde das Kino in dieser Zeit gut angenommen um wenigstens für ein paar Stunden die Sorgen des Alltags zu vergessen. Das Kino besuchte man nicht auf  Kredit, es wurde bar bezahlt, erinnert sich Rudi Czech. Am Folgetag der Währungsreform dem 21. Juni 1948 erhielt jeder Bürger ein Startgeld von 40 DM. Die Kinokarte kostete damals 80 Pfennige. Mit dem neuen Geld gönnten sich einige Weilmünsterer Bürger schöne Stunden im wiedereröffneten Kino. 

Tränenproduzierende Filme der 1950er Jahre

Nach dem 2. Weltkrieg vermehrte sich die Anzahl der Filmtheater in Deutschland rasant. In Frankfurt zum Beispiel gab es Anfang der fünfziger Jahre 62 Kinos. Jeder Gastwirt der einen Saal zur Verfügung hatte, gestaltete diesen zu einem Filmtheater um, „eine schöne Zeit“, erinnert sich Rudi Czech. Seine Erinnerung geht zurück in die Zeit, wo hier im Kinosaal in Weilmünster die großen Filme wie zum Beispiel: „Grün ist die Heide, der Inbegriff des Heimatfilmes aus dem Jahr 1951, in den Hauptrollen mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack sowie Maria Holst und Willi Fritsch oder Sissi, gespielt von Romy Schneider und Karlheinz Böhm“, über die Leinwand flimmerten. Dicht gedrängt saßen die Besucher im Kinosaal und es flossen die Tränen in Strömen. Diese Filme waren im Publikum sichtbar angekommen.

Die „Saalbau–Lichtspiele“ zeigten von nun an immer wieder ein neues ansehnliches Gesicht. Räumliche Gründe veranlassten Anfang der 1950er Jahre Fritz Buchholz, die Errichtung eines eistöckigen Vorbaus, in dem er ein Foyer unterbringen konnte. Damit konnte er den bisher im Hofbereich des Anwesens liegende Kinosaal-Eingang direkt an die Straße verlegen. Über dem Foyer-Eingang warben Kinoplakate für die Filme die in naher Zukunft gezeigt werden sollten und in den zwei Schaufenstern kündeten Bilderfolgen zusätzlich von dem zukünftigen Kino-Programm.                        

Die Innenarchitektur des Foyers war ansehnlich gestaltet, der Fußboden, die Wände und die Decke farblich aufeinander abgestimmt. Ein kleines Bassin mit einem Springbrunnen belebte den durch die großen Fenster, die sich an der Straßenseite des Gebäudes befanden, lichtdurchfluteten Innenraum. Immergrüne Pflanzen wuchsen an Bambusstämmen und einem Gestell aus Bambusstangen. Vom Eingang aus führte ein breiter Flur am integrierten Kassenhäuschen vorbei zum Kinosaal. Die technische Ausstattung gehörte stets zum Modernsten auf diesem Gebiet und bei der gebotenen Bequemlichkeit blieben keine Wünsche offen.

Joachim Buchholz, Sohn von Elfriede und Fritz Buchholz übernahm in den 1960 er Jahren mit seiner Frau Dora das Lichtspieltheater. In dieser Zeit ging das Interesse am Kinobesuch nicht nur in Weilmünster zurück. Um das Weilmünsterer Kino attraktiver zu gestalten, entschied die Familie Joachim Buchholz im Jahr 1976/77 sich für eine völlige Umgestaltung des Kinosaals. Die alten  Sitzbankreihen wurden entfernt und nach monatelangem Umbau präsentierte man eine völlig neugestaltete Einrichtung. Die Besucher fühlen sich nun als Gast in einer behaglichen Klubatmosphäre. Die Anzahl der Sitzplätze wurde von ca. 400 auf 126 reduziert. Die Kinobesucher sitzen nun in dick gepolsterten Lehnsesseln die in Sitzgruppen  aufgeteilt sind und für das an der Bar erhältliche Getränk ist ein kleiner Tisch vorhanden, ein Gefühl wie zu Hause auf dem Sofa. Es entstand ein modernes Filmtheater das seines Gleichen suchte. 

Der Saalbau Buchholz mit Foyer, rechts das 1899 erbaute Fachwerkhaus in dem bis ca. 1950 das Gasthaus zur Eisenbahn mit Herberge betrieben wurde. Aufnahme aus dem Jahr 1992.Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Familiäre Veränderungen machten es schließlich immer schwerer über die Runden zu kommen und so war es ein echter Glücksfall, dass die Gemeinde Weilmünster den Bauunternehmer Hermann Schäfer begeistern konnte, dieses Kulturgut zu erhalten.

Herrmann Schäfer und sein Sohn Jörg haben tief in die Tasche gegriffen und das Anwesen von Grund auf neu gestaltet, den eigentlichen Saalbau unter Wahrung der historischen Gegebenheiten mit neuester Technik und umweltbewusster Ausstattung zu einem echten Juwel der Unterhaltungsbranche für Weilmünster gemacht.

Das 1899 erbaute Gasthaus Zur Eisenbahn, dass ab Anfang der 1950er Jahre zu Wohnzwecken genutzt wurde, ist 2012 abgerissen worden und es entstand auf diesem Gelände das historische Lichtspiel-Gasthaus „PASTORI“ (auf ital. Schäfer) mit einer ausgezeichneten Gastronomie. Es ist im Sommer 2013 eröffnet worden und hat heute einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Es ist zu einem beliebten Treffpunkt des Wohlgeschmacks, gepflegter Gastlichkeit und guter Unterhaltung geworden.

Die Film-Plakat-Malerei Buchholz in Weilmünster

 Von Rudi Czech am 20.07.2020 im Kinosaal Pastori erzählt - Redigiert von Heribert Domes, 2023

Fritz Buchholz, Sohn von Friedrich Buchholz verließ im Jahr 1926 sein Elternhaus (das 1899 erbaute Gasthaus zur Eisenbahn in der Bahnhofstraße mit dem Saalbau Buchholz, ein Multifunktionssaal, der ab 1919 teilweise als Kinosaal genutzt wurde) und zog mit einem Wanderkino durch das Land. Er hatte Kellner und Filmvorführer gelernt. In dieser Zeit lernte er seine Frau Elfriede kennen, die einen Sohn hatte, den Joachim. Elfriede Buchholz war Näherin und konnte so zum Familienunterhalt beitragen.

Zu Beginn der 1930er Jahre betrieben Elfriede und Fritz Buchholz ein Kino mit Gastwirtschaft in Bensheim- Auerbach, in angemieteten Räumen. Auf der gegenübelliegenden Rheinseite, in Worms, gab es eine Kunsthochschule, von der gelegentlich Maler das Buchholzkino besuchten. An einem Wochenende saßen die Kunststudenten im Buchholzkino erneut zusammen, als Fritz Buchholz seinen Gästen berichtete, demnächst würde er einen Film mit Christina Söderbaum vorführen und fragte, könnt ihr mir dazu ein Plakat von der Hauptdarstellerin malen? Als Lohn wartete eine entsprechende Menge Wein und es mögen auch ein paar Groschen abgefallen sein. Gerne sagten die jungen Künstler zu und malten das gewünschte Film-Werbeplakat. Das ausgestellte Werk erzeugte eine positive Resonanz. Weitere Kinobesitzer kamen auf Buchholz mit der Bitte zu, ob er ihnen dieses Plakat zu Werbezwecken verleihen könnte, was er gerne tat. Was als private Werbeidee geplant war, erwies sich als Entdeckung einer Marktlücke, der Filmplakatverleih war geboren. Fritz Buchholz gründete in Bensheim-Auerbach seine erste Film-Plakatmalerei und das dazugehörige Verleihgeschäft.  

1939 brach der Zweite Weltkrieg aus und Fritz Buchholz wurde schon zu Beginn des Krieges eingezogen. Seine Frau Elfriede führte das Verleihgeschäft weiter, bis sie 1942 endgültig die Tore schließen musste. Nach seiner Gefangenschaft kehrte Fritz Buchholz 1946 nach Weilmünster zurück. Er konnte in das 1899 erbaute Elternhaus (Gasthaus zur Eisenbahn) wieder einziehen und eröffnete erneut das von seinen Eltern 1919 gegründete Kino im angrenzenden Saalbau. Im Gasthausgebäude, dass in dieser Zeit zu Wohnzwecken genutzt wurde, wohnte im obersten Stock die Familie Bletz, sie hatte eine Tochter, die Marianne. In der Nähe, im Bahnhofsgebäude wohnte der Bahnhofsvorsteher Loew, er hatte einen Sohn, den Werner, der ein Auge auf das Töchterlein geworfen hatte. Bei den Besuchen seiner Geliebten sah er die Filmplakate, die Fritz Buchholz aus Bensheim-Auerbach mit nach Weilmünster gebracht hatte. Dadurch entstand die Idee, dieses Geschäft hier in Weilmünster fortzuführen. Werner Loew lernte wie man die Plakatrahmen herstellt, und Frau Elfriede Buchholz, die gelernte Näherin, hat die Leinwand dazu genäht, die auf den Rahmen aufgenagelt wurde. Nun versuchte sich Werner Loew an seinem ersten Plakat, es war kein großes Kunstwerk aber doch für den Verwendungszweck gut gelungen. Das Plakat wurde vor dem Weilmünsterer Kino ausgestellt. 

In kürzester Zeit kamen andere Maler hinzu, zum Beispiel Herr Schuster aus Laubuseschbach und Herr Löhrke, zwei ehemalige Soldaten mit künstlerischer Begabung und Fähigkeiten. Ich (Rudi Czech) kam 1949 hinzu. Ich hatte an der Hauswand in dem Haus, in dem ich heute noch wohne, ein Bild von der Burg Schreckenstein gemalt. Das war meine Heimat, aus der ich komme. Dem Röschen, der Schwester von Fritz Buchholz, fiel das auf, und sie berichtete ihrem Bruder, da ist jemand, der etwas malen kann, den solltest du einstellen. Das Angebot begeisterte mich, obwohl ich vorher noch nie ein Plakat gemalt hatte. 

In dieser Zeit schrieb Fritz Buchholz an seine alten Kunden und bot ihnen erneut leihweise, gegen Bezahlung, Filmplakate an. Seine zusätzlichen Kundenbesuche führten sehr bald zu einem achtbaren Geschäftsaufschwung. Schon 1950 arbeiteten in dem Malbetrieb Buchholz ein halbes Dutzend Mitarbeiter, wir alle waren keine gelernten Maler, sondern meist Handwerker mit Talent zum Malen.

Zunächst malten wir im Kinosaal, in dem die sogenannten Thonet Stühle als Sitzgelegenheit standen. Der alte Herr Friedrich Buchholz hatte diese Stühle nach dem Frankfurter Sängerfest im Jahr 1909 für geringes Geld gekauft, und sie wurden von Weimünsterer Bürger mit drei Pferdegespannen nach Hause transportiert. Zu den Kinovorstellungen standen diese Stühle in Reihe nebeneinander. Zu Beginn unserer Malarbeiten mussten wir immer jeweils 10 Stühle mit einer Dachlatte zusammengebunden beiseiteräumen, um sie nach Arbeitsende einfach wieder in Reihe aufstellen zu können. 

Die Fa. Buchholz vergrößerte sich schnell. Bis zu 34 Mitarbeiter fanden bald in diesem Betrieb eine Beschäftigung. Die Belegschaft setzte sich aus Malern, Packern, Näherinnen für die Leinwandfertigung, Büropersonal und Vertriebsmitarbeitern zusammen. Neben dem Kinosaal entstand in Schlauchform ein kleines Atelier für die Malarbeiten. Auf der Bühne war damals die Näherei, wo Frau Buchholz die Leinwände nähte. 

Zur besten Zeit hatte die Fa. Buchholz 850 Kunden, verteilt in ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland. Jeder Maler hat etwa zwei bis drei Plakate an einem Arbeitstag gemalt. Unsere Malerei hatte mit Kunst wenig zu tun. Wir bedienten uns einiger Hilfsmittel. Von den Fotos, die wir vorab bekamen, suchten wir uns den Kopf und den Blickpunkt des Plakates aus, projizierten ihn auf die Leinwand und zeichneten mit Kohle die Umrisse auf. Dadurch konnten wir den Aufwand und die Arbeitszeit erheblich reduzieren. 

Am Anfang malten wir mit Plakafarben (kaseingebundene Farbzubereitungen). Die Butzbacher  Farbenfabrik lieferte uns die Farbpulver, die fässerweise in unserer Werkstatt zur Verfügung standen. Jeder Mitarbeiter musste sich selbst die Malfarben anrühren. Eines Tages besuchte uns der Vertreter Meisel von der Butzbacher Farbenfabrik und berichtete von einem neuartigen Kunstharzbindemittel, in dem die Farbpulver eingerührt werden konnten. Heute nennt man diese Zubereitungen Acrylfarben. In Weilmünster stellten wir die Kino-Plakatwerbung direkt an der Außenwand über dem Kinoeingang sowie für die Bevölkerung gut sichtbar an einem Gebäude in der Hauptstraße, wo heute das Schuhhaus Gath-Werner sich befindet, in Blickrichtung zur Kirche aus.

Hauptstraße Weilmünster, rechts der Straße vor der Kirche ist das Gebäude mit der Kinowerbung zu sehenFoto: Archiv, HVW e. V.

Die fertig gemalten Plakate wurden auf sogenannte Gerüste aufgerollt, die uns die Stielfabrik Abel aus Ernsthausen zum Stückpreis von 1,00 DM herstellte. Diese Plakatrollen verpackten wir in entsprechend große Säcke, beschrifteten diese mit den Kundenadressen und karrten sie mit dem heute noch am Kinoeingang zu sehenden Hand-Karren, den uns der Schmiedemeister Rudolf Schwarz baute, zum Bahnhof Weilmünster. Von dort begannen sie ihre Reise zu unseren Kunden. Die zurückgelieferten Plakate sowie die von uns bestellten und am Bahnhof Weilmünster angekommenen Filmrollen, damals waren es noch riesige Pakete mit entsprechendem Gewicht, brachten wir mit dem genannten Gefährt wieder zurück in unser Kino. Dieses handbetriebene Fahrzeug hat unwahrscheinliches geleistet und erfreut noch heute, mit einem Blumenschmuck versehen, die Besucher im Eingangsbereich des heutigen „Historischen Lichtspielgasthauses Pastori“. Nach vielen Dienstjahren ist er immer noch funktionsfähig, eine wertvolle Erinnerung für den Film-Plakate-Maler Rudi Czech.

Natürlich kam es auch vor, dass wir Plakate malten, die der Katholischen Kirche nicht gefielen. So geschah es auch in Weilmünster. Der Pfarrer Josef Kubeck hatte einen Kaplan mit Namen Hans Jamin, der jeden Tag zum Postamt Weilmünster ging, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kino befand, um die Postsendungen abzuholen. Beim Vorrübergehen beäugte er misstrauisch unsere Plakate und die ausgestellten Bilder. 

Eines Tages malte ich ein Plakat für den französischen Film „Feuer unter der Haut“ aus dem Jahr 1954, ein Film aus der großen Serie französischer Heimat- und Triebdramen, ein Drama der Leidenschaften und Verzweiflungstaten. Ich malte ein Mädchen, nichts Tolles, sie sah zwar sehr schön aus und man hat ansatzweise den Busen auf dem Filmplakat gesehen. Diese Darstellung brachte Hans Jamin auf die Palme. Energisch griff er uns mit den Worten an: „Wenn ihr das aufhängt mache ich euch Feuer unter dem Arsch, darauf könnt ihr euch verlassen“. Obwohl er niemals selbst im Kino war schrieb er regelmäßig Filmkritiken.

Nach der Blütezeit des Film- und Plakat-Verleihes kamen schon Anfang der 1960er Jahre weitere Tendenzen der Unterhaltungsmöglichkeit für die Bevölkerung auf. Die Kino-Besucherzahlen gingen nicht nur in Weilmünster zurück. Der finanzielle Ertrag aus dem Kinogeschäft wurde überschaubar. Ein Grund war der Wettbewerb zum sich schnell verbreitenden Fernsehen. Die veränderte Verleihpraxis der Filmverleiher kam mit negativen Auswirkungen hinzu. Es konnten die interessanten Filme nur im Paket mit weniger interessanten Filmen geliehen werden. Der Niedergang der kleinen Kinos auf dem Land und in den Vorstädten war nicht mehr aufzuhalten, was auch das Plakat-Verleihgeschäft beeinflusste, dadurch verloren wir viele Kunden. 

Nach dem Ableben von Fritz Buchholz übernahm in diesen schwierigen Zeiten sein Sohn Joachim das Kino und die Plakatmalerei. Als Ausgleich zur rückläufigen Plakatnachfrage entwickelten wir viele andere Produkte wie zum Beispiel Beschriftungen aller Art, Siebdrucke, Werbetafeln für Einzelhandelsgeschäfte und etwas später begann Joachim Buchholz mit einer Autolackiererei. Das Schlimmste und Weittragendste für uns war, dass die Weiltalbahn ihren Betrieb am 27. September 1969 einstellte und wir unsere Plakate dadurch nicht mehr zum Versandt bringen konnten. Das Film-Plakate-Verleih-Geschäft Buchholz fand sein Ende. Kurze Zeit später verkaufte Joachim Buchholz seinen Plakatbestand. Unsere Werke sind heute in ganz Deutschland auffindbar.

Nebenerwerbssiedlung Weilmünster Sudetenstraße 

Erbaut 1953 – 1954

Von Emil Köcher† und Heribert Domes im Jahr 2000 verfasst, Redigiert von Heribert Domes, 2021

18 Millionen Deutsche erfuhren nach dem Zweiten Weltkrieg was es bedeutet, heimat- und schutzlos in die Fremde geschickt zu werden. In den Jahren 1945 – 1946 mussten 13 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten, dem Sudetenland und den Siedlungsgebieten in Ost und Südosteuropa ihre angestammte Heimat verlassen. 2.800.000 Menschen kamen während Flucht und Vertreibung ums Leben. 

In den Folgejahren kamen zunächst Tausende aus Mitteldeutschland und ab 1955 aus den osteuropäischen Staaten hinzu. In der Summe waren es 18 Millionen Deutsche die in der Fremde eine Bleibe und für ihre nachfolgende Generation eine neue Heimat suchten und fanden. Durch die Aufteilung der Transporte auf die britische- und die amerikanische Zone kamen 1946 insgesamt 294 Transporte mit 330 100 Menschen in Hessen an. 18 Züge davon kamen nach Weilburg. Hier kümmerte sich Herr Otto Höhler aus Blessenbach um die Flüchtlinge, er wurde im Januar 1946 als Flüchtlingskommissar des Oberlahnkreises eingesetzt. Der erste große Transport der am 04. Februar Weilburg erreichte kam aus Kuttenplan im Egerland und bestand aus 1200 Menschen. Als er die böhmisch-bayrische Grenze überschritt, erhielt Otto Höhler ein Telegramm: 1200 Flüchtlinge sind unterzubringen. Daraufhin hat er das ehemalige Reichs-Arbeitsdienstlager in Weilmünster für die Vertriebenen herrichten lassen. Allerdinges reichte dies nur für 600 Menschen aus, die restlichen Ankömmlinge brachte man nach Villmar.

Nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 13.09.1950 nahm der ehemalige Oberlahnkreis 13.377 Heimatvertriebene auf, das entspricht 22,7% der damaligen Bevölkerung. In der heutigen Kerngemeinde Weilmünster betrug der Bevölkerungsanteil der Heimatvertriebenen sogar 31%.

Zur Erinnerung und als Dank an unsere Eltern und Großeltern, die ihr Hab und Gut verloren und in der Fremde mit extrem großen Pioniergeist eine neue Existenz aufbauten und dadurch den Folgegenerationen eine neue Heimat schufen, ist diese Schrift gewidmet. Unser heutiger Dank gilt auch all denjenigen einheimischen Bürgern, die durch ihre spontane Hilfe die Not der Vertriebenen linderten. Nicht vergessen sind die zahlreichen Hilfsprogramme der Bundesrepublik Deutschland, der einzelnen Länder, der Kreise und der Kommunen, durch die die Gesamtbevölkerung den Eingliederungsprozess ermöglichte.

Die in dieser Schrift dokumentierte Geschichte der Nebenerwerbssiedlung „Weilmünster Sudetenstraße“ ist ein Beispiel für die zahlreichen Anstrengungen des Deutschen Volkes die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges auf die Bevölkerung zu überwinden, aber nicht vergessen zu lassen.

Nebenerwerbssiedlung Weilmünster Sudetenstraße – so fing alles an 

Initiiert vom damaligen Hessischen Landwirtschaftsminister Herrn Gustav Hacker listete Anfang der fünfziger Jahre der Vertriebenenverband die Landwirte, die durch die Vertreibung ihre Existenzgrundlage verloren hatten und sich für eine Weiterführung ihres Berufes auf Nebenerwerbsbasis interessierten auf. Herr Minister Hacker, damals wohnhaft in Bad Homburg, war ebenfalls Heimatvertriebener. Sein Heimatort lag in Nordböhmen. Frühzeitig setzte er sich dort für die Belange der Landwirtschaft ein. In der Funktion des Landjugendführers für Nordböhmen war Herr Hacker dem Siedler Emil Köcher, der vor dem 2. Weltkrieg in Böhmisch Pockau, Kreis Aussig, ein landwirtschaftliches Anwesen mit Gasthaus und Tanzsaal betrieb, persönlich bekannt. 

Im November 1952 wurden 14 Bewerber für eine Nebenerwerbssiedlungsstelle „Weilmünster-Sudetenstraße“, von der Landwirtschaftskammer Oberlahn und der Nassauischen Siedlungsgesellschaft Frankfurt, in den Rathaussaal der Gemeinde zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Weiterhin anwesend war Herr Schweißfurt aus Weyer, stellvertretend für das vertriebene Landvolk Oberlahn. In Unkenntnis des weiteren Vorgehens vergingen einige Monate bis im Februar 1953 dasselbe Gremium erneut einlud und die 10 Bewerber nannte, denen man den Zuschlag gab.

Geplant war die Errichtung einer Nebenerwerbssiedlung in Form von fünf Doppelhäusern, in der Ausführung als Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung und Nebengebäude. Bauherr war die Gemeinde Weilmünster, die im Auftrag der Nassauischen Siedlungsgesellschaft für 10 vertriebene Familien in Weilmünster eine neue Heimat schaffte. Die auserwählten Familien waren:

Die Siedlung entsteht

In Weilmünster, unmittelbar an der nordöstlichen Seite des ehemaligen Reichs-Arbeitsdienstlagers und damaligem Flüchtlings-Durchgangslagers (heute Berliner Platz), auf der gemeindeeigenen Wiesenparzelle Flur 29, Flurstücke 17 bis 26 entstand die Nebenerwerbssiedlung Sudetenstraße, Baubeginn war im Frühjahr 1953. Vorher nutzte dieses Wiesengrundstück die Gemeinde Weilmünster zur Grünfutter- und Heuernte für die gemeindeeigene Manntierstation. Unter den ausgewählten Bewerbern wurden nun die einzelnen Parzellen ausgelost und den einzelnen Siedlerwünschen, wie zum Beispiel, Wahl der Nachbarschaft, ist Rechnung getragen worden. Die Lage, Nord- oder Südseite der Häuser bestimmte erneut das Los.       

Weilmünster Flur 29, Flurstücke 17 bis 26. Auf dieser Fläche entsteht die Nebenerwerbssiedlung Sudetenstraße, Baubeginn 1953. Im Hintergrund links ist das Wohngebiet Am Bangert und in der Bildmitte die Holzbaracken des Reichs-Arbeitsdienstlagers zu sehen.Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V. 

Jeder Siedler musste eine Eigenleistung von 500 DM (geplante Gesamtkosten, ca. 25.000 DM) erbringen. Das Ausschachten der Baugruben galt als Eigenleistung.

Am 1. März 1953 begannen die Siedler mit dem Aushub der Baugruben. Das bedeutete Handarbeit in einem Wiesengelände, das sich am unteren Ende einer Hanglage befindet und besonders in der Frühjahrszeit permanent mit Quellwasser des angrenzenden Berges, „Armer Mann“, gespeist wird. Unmittelbar nach dem ersten Spatenaushub war das Loch wieder mit Wasser gefüllt. Ohne das Anlegen von Entwässerungsgräben konnten die Arbeiten nicht fortgesetzt werden.

Mit der Schubkarre bewegten die Siedler den extrem feuchten und schweren Erdaushub um ihn an den Grundstücksgrenzen zu lagern. Da die Keller der Häuser nahezu vollständig in den Erdboden gebaut werden sollten, war eine erhebliche Erdbewegung notwendig. Glücklicherweise interessierten sich einige Weilmünsterer Bauern und andere Häuslebauer-Kollegen für einen Großteil des Erdaushubs. Dadurch entspannte sich das Lagerproblem nicht benötigter Erde. Der an Nährstoffen arme Mutterboden der Wiesenparzelle, aus dem Baubereich der Häuser, diente zur spärlichen Verbesserung der geplanten Nutzgartenbereiche.

Die erste Überraschung

Erst nach dem Aushub der Baugruben konnten die Bauinteressenten die Planungsunterlagen einsehen. Erschrocken stellten sie fest, dass die Zeichnungen kleine Gucklöcher vorsahen, wo eigentlich Fenster eingebaut werden sollten.

Sofort kontaktierte man Herrn Kreisbauamtsmeister Nahm in Weilburg mit der Bitte, doch die Fenstergröße zu erweitern. Herr Nahm stellte seine Nicht-Zuständigkeit fest und verwies an die Hessen Nassauische Siedlungsgesellschaft.

Leider waren diese Entscheidungsträger für die Siedler vor Ort nicht erreichbar noch reagierten sie auf zahlreiche Schreiben. Aufgrund dieser Situation fuhren die Herren Köcher und Drexler zur Siedlungsgesellschaft nach Frankfurt. Zur Überzeugung der Entscheidungsträger war ein zähes Verhandeln vergleichbar mit dem auf einem Schweinemarkt, notwendig. Schließlich stimmte man den Änderungswünschen unter der Auflage zu, dass die Mehrkosten von den Siedlern getragen werden müssten und die Änderungsarbeiten sowie der Preis mit den entsprechenden Schreinern auszuhandeln sei. Die errechneten Mehrkosten von 54 DM je Haus waren zur damaligen Zeit sehr viel Geld und setzten das Einverständnis aller Siedler voraus. 

Herr Kreisbauamtsleiter Nahm reagierte auf das gezeigte Durchsetzungsvermögen ungehalten und seit dieser Zeit war die Zusammenarbeit mit ihm belastet. In Kenntnis des Erfolges von Weilmünster wurden die Weilburger Siedler Friedrich Ebertstraße ebenfalls bei ihm mit vergleichbaren Wünschen vorstellig. Kritik musste Herr Nahm auch von der Siedlungsgesellschaft aus Frankfurt hinnehmen, da er sich außer Stande sah, derartige Kleinigkeiten selbst zu entscheiden. 

Während der Rohbauarbeiten entstand mit dem Kreisbauamtsleiter oftmals ein zähes Ringen um diverse Änderungswünsche. Es galt keine Zeit zu verlieren, da die Bauarbeiter nur nach einer gültigen Zeichnung arbeiten konnten. Die Grundmauern der Häuser sowie die später erstellte Einfriedung zur Straßenseite baute man aus Bruchsteinen, die im Steinbruch Essershausen gewonnen wurden. Die Häuser selbst mauerte man mit kleinen Bimssteinen. Ein Badezimmer sahen die Baupläne nicht vor. Aus diesem Grund setzten einige Siedler nach Absprache mit der Bauaufsicht Änderungswünsche im Bereich Speisekammer/Toilette durch, um in der Toilette ausreichenden Raum für eine Badewanne zu erreichen.

Die Häuser gehen der Vollendung entgegen, der Einzug naht

Im April 1954 gingen die Bauarbeiten dem Ende entgegen und die ersten Siedler konnten ihr neues Heim beziehen.

1954, Blick vom Armen Mann auf die fertiggestellte Nebenerwerbssiedlung SudetenstraßeFoto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e-V. 

Die Siedlungsgesellschaft forderte einen Siedlungsbeauftragten, der die Anliegen der Siedler mit der Siedlungsgesellschaft regeln sollte. Gewählt wurde Herr Emil Köcher, Sudetenstraße 33. Schon bald musste er den am Bau beteiligten Unternehmen die zahlreichen Baumängel vortragen und auf Nachbesserung bestehen, wahrlich kein leichtes Amt.

In fast allen Fällen wurde der obere Stock der Häuser vermietet. Auch mit der daraus resultierenden Problematik hatte sich Herr Köcher zu befassen. Es fand sich letztendlich für jedes Problem, wenn nicht eine Lösung, jedoch eine Akzeptanz und schon bald ging das Zusammensein der Siedler mit den Mietern seinen Gang.

Die erste Bewährungsprobe

Der ersten großen Bewährungsprobe wurden die Siedler zu Pfingsten 1954 ausgesetzt. Der Heilige Geist strömte mit einer derartigen Heftigkeit über die Sudetenstraße herein und die sich im Schlepptau befindlichen gewittrigen Regenfälle schossen in Sturzbächen vom Armen Mann herunter, sie verwüsteten die ersten Bepflanzungen in den Siedlungsgärten. Da die Siedler zu dieser Zeit noch keine Eigentümer ihrer Behausung waren, musste in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Kulturamt nach einer Problemlösung für die Zukunft gerungen werden.

Der Vorschlag, einen Wassergraben mit Halbschalenauskleidung und entsprechender Ableitung an den zum „Armen Mann“ gelegenen Grundstückseiten zu errichten ist nur zum Teil umgesetzt worden. Die Siedler mussten an der genannten Grundstücksgrenze einen ca. 1 m breiten Grundstücksstreifen für den Bau des  Wassergrabens an die Gemeinde abtreten. Dadurch war eine Neuvermessung der Grundstücke notwendig. Das zum Bau der Einrichtung beauftragte Unternehmen hob den Graben aus und lieferte die Halbschalen-Auskleidungselemente an. Nach einer vierzehntägigen Lagerung holte man diese jedoch wieder ab. Zurück blieb eine relativ schnell unbrauchbar gewordende grabenähnliche Vertiefung, für die sich niemand zuständig fühlte. Zwischen den Grundstücken Gerstner und Köcher verlegte man einen Kanal mit einem Durchmesser von 300 mm.

Glücklicherweise wiederholte sich bis heute ein derartiges Unwetter nicht. Durch die zwischenzeitliche Bebauung der an die nord-östlichen Seite der Siedlung grenzenden Flure ist die Verwüstungsgefahr der Grundstücke durch Unwetter weitgehendst gebannt. Die Grabenparzelle blieb auch nach der Bebauung der Flure „Am Weißen Rain“ in Gemeindebesitz. 1973 bot die Gemeinde Weilmünster den Siedlern die Teil-Parzelle, die jeweils an die Grundstücke grenzte, zum Kauf an. Aufgrund der zwischenzeitlich erstellten Einfriedungen war das Interesse der Siedler an den ca. 1 m breiten Streifen sehr gering. Neben den vorhandenen Einfriedungen war sicherlich ein weiterer Grund des Desinteresses, die Gemeinde Weilmünster bot die Parzelle zu dem inzwischen ortsüblichen Baulandpreis von ca. 25,00 DM/m² an. Zwischenzeitlich ist diese Grabenparzelle von den an die Siedlung grenzenden Grundstückseigentümern des Baugebietes „Am Weißen Rain“ erworben worden.

Nutzung der Nebenerwerbssiedlung

Die Nebenerwerbssiedlung wurde mit dem Ziel errichtet, den heimatvertriebenen Landwirten im Nebenerwerb ihre Berufsausübung zu ermöglichen. Das bedeutet, zu den Häusern mit einem kleinen Stallgebäude, sollte jeder Siedler zusätzlich einen Morgen Ackerland bekommen. Leider hatte die Gemeinde Weilmünster zur damaligen Zeit keine geeigneten Grundstücke zur Verfügung, da die Landvermessung im Jahr 1950 in Weilmünster noch keine Nebenerwerbssiedlungen vorsah. Im Vergleich dazu konnte die Weilburger Nebenerwerbssiedlung Friedrich Ebert Straße mit zusätzlichem Ackerland, das direkt an die jeweiligen Grundstücke grenzte, ausgestattet werden.

Am Anfang konnten die Siedler durch die teilweise intensive Kleintierhaltung (Hühner, Kaninchen,  Gänse, Enten und Tauben) ihren kargen Speiseplan bereichern. Die Siedler Keil, Domes, Palme, Grimm und König hielten zusätzlich Ziegen, die die Familien mit Milch versorgten. Damals gab es in der Weilmünsterer Manntierstation auch einen Ziegenbock, der für zahlreichen Nachwuchs in den Ziegenställen der Siedler sorgte und auf diese Weise den Osterbraten sicherte. 

Mit der Zeit pachteten oder kauften die Siedler mehr oder weniger große Acker- und oder Wiesenflächen. Dadurch konnten Brotgetreide und Hackfrüchte für den Eigenbedarf sowie als Futtermittel für die Tiere angebaut werden. Derjenige, der keine ausreichenden Wiesenflächen zur Verfügung hatte, sammelte für seine Tiere Grünfutter oder machte Heu in den Gräben der Landstraßen rund um Weilmünster sowie in so manchen Garten Weilmünsterer Bürger.

Zunächst war das landwirtschaftliche Transportfahrzeug der Handwagen, angetrieben von der menschlichen Muskelkraft, was bedingt durch die topografische Lage erhebliche Mühe bereitete. Die Feldarbeit war zu dieser Zeit reine Handarbeit. Gelegentlich konnten einige Sieder bei ortsansässigen Bauern Pferdegespanne für die Feldarbeit leihen und der ortsansässige Fuhrunternehmer Karl Völpel transportierte den Stalldung auf die Ackerflächen. Der Siedler Plahl vergrößerte schnell seine Nebenerwerbslandwirtschaft. Er arbeitete schon sehr früh mit einem Kuhgespann, bevor er Ende der 1950er Jahre einen Traktor anschaffen konnte. Die Siedler Keil und Domes konnten durch Anschaffung je eines Einachsschleppers, Anfang der 1960er Jahre, ihre Transport- und Feldarbeit wesentlich erleichtern. 

Teilweise kauften die Siedler im Frühjahr Ferkel und fütterten diese zu schlachtreifen Tieren, die zum Jahrsende geschlachtet werden konnten. Das obligatorische Schlachtfest fand oftmals zwischen Weihnachten und Neujahr statt. Die Hausschlachtungen führte Herr Richard Dienst, Onkel des damaligen Betreibers des Aussiedlerhofes Dienst, wohnhaft in der Adamsbacher Straße, durch.

Das Schlachtfest war eine besondere Herausforderung für die Hausfrau, die die großen Mengen Fleisch und Wurst ohne Gefrierschränke so konservieren musste, dass der Vorrat bis in die Sommermonate genussfähig erhalten blieb.

Ein Teil der Wurst wurde in Weißblechdosen gefüllt, die der ortsansässige Spenglermeister Eduard Jung, mit einer Maschine verschloss, bevor sie im Kessel gekocht werden konnte. Den Rest der Wurst, in Därme gefüllt, räucherte der Siedler selbst im dazu modifizierten 200 l Wasserkessel, der als fester Bestandteil in der Waschküche eingebaut war. Das Fleisch kochte die Hausfrau teilweise in Gläsern ein. Den Schinken räucherte der ortsansässige Metzger gegen ein geringes Entgelt.

Der Ausbau der Sudetenstraße ließ zunächst auf sich warten. Die Sudetenstraße hatte im Bereich der fünf Doppelhäuser eine Schotterbefestigung jedoch blieb der naturbelassene Feldweg bis zur Dietenhäuser Straße in seinem Urzustand erhalten. Dieser Weg war in den Monaten mit vielen Regenfällen nur mit Gummistiefeln zu begehen. Die Bewohner der Sudentenstraße wechselten nach Durchwatung des Schlammweges ihr Schmutz-Schuhwerk, das sie im Straßengraben der Dietenhäuserstrße bis zur Rückkehr in das erneute Abenteuer lagerten.

Frau Dagmar Haida, Mieterin bei Jakob Plahl, brach sich den Knöchel als sie eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit im Morast der Sudetenstraße verunglückte. Erst danach stellte die Gemeinde die Allwetterbegehung der gesamten Sudetenstraße sicher.

1955 Die Nebenerwerbssiedlung Weilmünster Sudetenstrße ist fertiggestellt. Die Straße vor den fünf Doppelhäusern ist nur teilweise befestigtFoto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Das Leben der Siedler von 1954 bis heute

Mit Ausnahme der Siedler Plahl und Domes gaben die restlichen Gründer der Sudetenstraße die Viehhaltung schon bald nach dem Bezug der Anwesen auf, da die Acker- und Wiesenflächen als Grundlage der Futtermittelerzeugung fehlten.

Die erste Generation der Siedler betrieb zunächst den Gemüseanbau in den Hausgärten sehr intensiv. Der Ertrag der neu gepflanzten Obstbäume bereicherte den Speisezettel zusätzlich. Doch schon bald musste man erkennen, die Grundstücke für den Obstanbau sind zu klein. Die Beseitigung der größer werdenden Bäume war unausweichlich.

In den sechziger Jahren schafften sich auch die Siedler der Sudetenstraße mit der zunehmenden Motorisierung unseres Landes, fahrbare Untersätze an. Auf dem Anwesen der Familien Keil und Köcher musste Platz für Garagen der ersten Autos geschaffen werden. Heute befindet sich auf jeden Grundstück ein nachträglich errichteter Bau für ein oder mehrere fahrbare Untersätze.

Die Kinder wuchsen schnell heran und der Wohnraumbedarf der Familien wurde größer. Anfang der sechziger Jahre zogen etliche Mieter aus und der freiwerdende Raum konnte der Eigennutzung zugeführt werden. Um Wohnraum für zwei Generationen unter einem Dach zu schaffen, entstanden in den 1980er Jahren Anbauten an den Häusern Golombeck, Keil, Köcher und Drexler. Die Nutzgärten der Grundstücke veränderten sich im Laufe der Zeit vom intensiven Gemüseanbau zum heutigen Wohngarten mit Rasen, Blumenbeeten und Ziersträucher-Bepflanzung. Heute sind etliche Häuser von den Folgegenerationen der Siedler bewohnt oder an fremde Interessenten verkauft.

Die Siedler werden Eigentümer der Anwesen

Im September 1957 übergab die Nassauische Siedlungsgesellschaft die Siedlerstellen. Die Siedler wurden Eigentümer der Anwesen mit der Einschränkung eines Vorkaufrechtes zugunsten der Siedlungsgesellschaft. Die zunächst an die Siedlungsgesellschaft geleisteten Hypothekenzahlungen wurden nun an diverse Banken in festgelegten halbjährlichen Zahlungen geleistet. Erst im Jahr 1977, lange nach der Hypothekentilgung, konnte aufgrund einer Gesetzesänderung des Landes Hessen das Vorkaufsrecht gelöscht werden.

Anfang der fünfziger Jahre beschloss der BdV-Ortsverband Weilmünster zum Gedenken derer, die in der Heimaterde ruhen und an diejenigen, die die Heimaterde niemals wiedersahen und auch nicht in ihr ruhen dürfen, eine Gedenkstätte zu errichten.

Zunächst plante man auf dem Friedhof Weilmünster eine Stätte der Erinnerung. Leider lehnte es die Gemeinde Weilmünster mit der Begründung ab, neben der schon vorhandenen Gedenkstätte für alle Opfer der Kriege, sollte keine zweite, spezielle Stätte, errichtet werden.

Daraufhin spendete Herr Pfarrer Josef Kubek, Heimatvertriebener aus Grulich, Mähren, dieses Gedenkkreuz, das auf dem Gelände der katholischen Kirche errichtet wurde. Gepflegt wurde das Gedenkkreuz mit der angrenzenden Bepflanzung lange Zeit von Herrn Emil Köcher

Die Post im Weiltal - Teil 1 von 5 - Landgraf Philipp II. von Hessen-Rheinfels richtet 1570 eine Kurier- und Reisepost ein 

Die Geschichte der Post im Weiltal – Frei nach Alfred Hofmann, Weilburg - Redigiert von Heribert Domes, 2023

Im Jahr 1570 richtete Landgraf Philipp II., der Jüngere von Hessen-Rheinfels, erster und einziger Landgraf von Hessen Rheinfels (1541 – 1580) zwischen seiner Residenzstadt St. Goar und der seines ältesten Bruders Wilhelm IV. (Wilhelm der Weise von 1532 bis 1592 Landgraf zu Hessen Kassel) über die Hessenstraße eine Kurier- und Reisepost ein. Sie führte von St. Goar über Nastätten, Münster, Weilmünster, Wetzlar, Marburg nach Kassel. 

Die Postkurierstationen waren zu Anfang des 18. Jahrhundert mit Genehmigung der Landesherren auf der Hessenstraße in Kettenbach, Münster, Weilmünster und Frohnhausen ansässig. Die damalige Kurierstation in  Weilmünster befand sich im uns noch bekannten alten „Posthaus“ in der Hauptstraße, dass bis zu seinem Abriss zum Jahreswechsel 1990/91 diesen Namen behielt. An dieser Stelle entstand das 1994 eingeweihte Bürgerhaus Weilmünster. Alle damaligen Haltestellen der „Kasselischen Kurierpost“, sowohl der Reit-, als auch der Fahrpost, erhielten um 1700 die Bezeichnung „Posthaus“. 

Anno 1722 wurde auch die Post über die Hessenstraße kasselisch. Da Landgraf Friedrich von Hessen von 1720 bis 1751 König von Schweden war, nannte man die „Kasselische Post“ in dieser Zeit auch „Königliche Schwedenpost“.

Etwa ab 1692 versuchten die Fürsten von Thurn und Taxis als General-Postmeister der „Kaiserlichen Reichspost“ die Postroute auf der Hessenstraße zu führen. Doch die Landgrafen von Hessen lehnten sich gegen das angemaßte Privilegium der Fürsten von Thurn und Taxis auf und verwandelten 1711 die Rheinfelsische-Post in eine „Kasselische-Kurierpost“ um.

Im Jahr 1719 richtete die kaiserliche Reichspost zwischen der fürstlichen Residenz zu Kassel und der Residenz der hessischen Linie Rothenburg zu Rheinfels bei St. Goar eine reitende Post ein. Diese Postroute führte über Marburg, Frohnhausen, Wetzlar, Weilmünster, Münster, Idstein und Nastätten zur Festung Rheinfels und wurde von dem hessischen Oberpostamt zu Kassel unterhalten.

Aber erst im Jahr 1723 gestattete die herzoglich-nassauische Regierung auf Vorstellung der Reichsstadt Wetzlar, der „Kaiserlichen Post“ die Errichtung einer Posthalterei in Weilmünster. Hierdurch sollte es möglich werden, auf der Mitte der Strecke zwischen Wetzlar und Selters die Pferde zu wechseln. Besonders zur Sommerzeit lag damals eine starke Nachfrage nach Reiseplätzen zu den Bädern und Brunnen in Wiesbaden, Schwalbach und Selters vor. 

Durch das Verbot, die hessisch-schwedische Poststelle in Wetzlar weiter zu betreiben, konnte das fürstliche Konkurrenzunternehmen von Thurn und Taxis in Wetzlar die erste Poststelle der „Kaiserlichen Post“ des alten „Römischen Reiches Deutscher Nation“ gründen. Von der Landesregierung in Weilburg erhielt in dieser Zeit der Weilmünsterer Amtmann Diesterweg den Auftrag, einen Bürger für eine kaiserliche Posthalterei in Weilmünster ausfindig zu machen. Er sollte vermögend und willens sein eine derartige Aufgabe zu übernehmen.

Gastwirt wird erster Posthalter des kaiserlichen Postnetzes von Thurn und Taxis

Nach 6 Wochen konnte Amtmann Diesterweg seinem Herrn berichten, dass der Gastwirt „Zum weißen Roß“ Johann Nicolaus „von Hausen“ (08.03.1692 – 13.11.1766), ansässig in der Weißeroßgasse zu Weilmünster bereit wäre, die kaiserliche Posthalterei zu übernehmen. Er war der Sohn des damaligen Posthausbesitzers Jost Thomas „von Hausen“ (1654 – 23.03.1722), Posthalter der kasselisch-schwedischen Post in Weilmünster.

Johann Nicolaus „von Hausen“ (Bierbrauer, Küfermeister, Gerichtsmann und Gastwirt) war wohlhabend. Ihm wurde 1723 die Posthalterei Weilmünster des kaiserlichen Postnetzes in Form der ersten Bestallungsurkunde übertragen. Dadurch war Weilmünster schon sehr früh an das kaiserliche Postnetz angeschlossen. Die „Landgraf-Hessische Post“ ging mit diesem Vorgang in die kaiserliche Post der Thurn und Taxis über und die Posthalterei wurde von der Weißeroßgasse in das alte Posthaus verlegt. Die Familie „von Hausen“ war damals Besitzer der Gastwirtschaft „Zum weißen Roß“ sowie des Posthauses und einer Bierbrauerei. 

In einer zweiten Bestallungsurkunde vom 26. Oktober 1740 (im fürstlich Thurn und Taxischem Zentralarchiv in Regensburg aufbewahrt) ist Johann Nicolaus „von Hausen“ erneut als Posthalter bestätigt worden. Bis zum Jahre 1749 hat Nicolaus „von Hausen“ seinen Posthalterdienst versehen. Am 01.01.1750 wird Georg Christian, ältester Sohn des Nicolaus „von Hausen“ vom fürstlich-hessischen Oberpostamt Kassel mit einer Instruktions- und Bestallungsurkunde zum Postverwalter Weilmünster ernannt. Sein jüngerer Bruder Jost Ludwig Vonhausen hatte von 1763 bis 1806 die Posthalterstelle inne. Er war der letzte Posthalter der kaiserlichen Post von Thurn und Taxis in Weilmünster. Der Name „von Hausen“ wird von den Brüdern Georg Christian und Jost Ludwig erstmalig in der abgeänderten Form „Vonhausen“ geschrieben. 

Das alte Gasthausgebäude zum Weißen Roß bestand bis 1838. In diesem Jahr riss man es ab und es entstand das heute noch vorhandene Anwesen Weißeroßgasse Nr. 5, derzeit im Besitz der Familie Herbert Köster. Das Gasthaus zum Weißen Roß bestand in dem genannten Haus bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts

In der ersten Bestallungsurkunde wurde Nicolaus „von Hausen“ im Punkt 7 des Bestallungsbriefes unter anderem folgende Maßregel aufgetragen:

In der ersten Bestallungsurkunde wird Johann Nicolaus Vonhausen zum kaiserlichen Posthalter ernannt. (Kopie der Urkunde aus dem Fürstlich Thurn und Taxis’schen Zentralarchiv in Regensburg)Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

… von solchen seines Dienstes wegen auf den ordentlichen Postritt wöchentlich zweymal nemlich Sonnabends und Dienstags in der Nacht die von Rheinfels bey ihm angelangte Post also bald mittels eines treuen Postillons und tüchtigen Pferde aufs schleunigste durch Wetzlar nach Grabenheim, auch des folgenden Tages von dannen die Casselische Post wiederum mit zurück nach Weilmünster zu führen, sodann Mittwochs Nachts das Casselische Felleysen allemal nach Münster an der langen Hecke zu bringen. Außerdem wird ihm aufgetragen, die auf diesem Cours anfallende Stafetten allemahl bis zur nächsten Station ordnungsgemäß zu befördern“ und auch, die Extra-Post, welche an seinem Ort begehret würden nach Postgebrauch zu überführen, alles getreulich und sonder Gefahren.…

Zweimal wöchentliche Post

Am 1. August 1790 berichtet der Gerichtsbürgermeister Dienst dem hochfürstlichen Amt in Weilburg auf Anfrage:

 „wegen der Post wie sie hier ankommt und abgeht“ wie folgt: „So kommt die Post die Woche zweimal hier von St. Goar an, als die Sonntagnacht um 1 oder 2 Uhr, geht sogleich von hier ab nach dem Hessenland. Die Montagnacht kommt sie wieder zurück – Nacht in 2 oder 3 Uhr – geht gleich von hier ab nach St. Goar. Die Mittwochnacht kommt sie wieder von St. Goar um 2 Uhr hier an, geht gleich von hier nach dem Hessenland ab, den Donnerstagnacht kommt sie wieder aus dem Hessenland um 2 bis 3 Uhr wieder zurück und geht gleich von hier nach St. Goar.

Am 12. Juli 1806 wird unter Federführung des französischen Kaisers Napoleon I. in Paris die Rheinbundakte unterzeichnet. Damit war der Rheinbund gegründet. 16 süd- und westdeutsche Fürsten verbündeten sich mit Frankreich und erkannten die französische Oberherrschaft an. Mit der Unterzeichnung der Rheinbundakte endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Am 6. August 1806 legte Kaiser Franz II. die Krone des Heiligen Römischen Reiches nieder und somit verliert Weilmünster nach 80 Jahren die Posthalterei und wird nun von der abgelegenen Posthalterei des herzoglichen Hauses Nassau-Weilburg versorgt. 

Die Rheinbundakte sah die Fortführung des bisherigen Postwesens vor, jedoch beanspruchten die einzelnen Staaten das Postregal für sich. Nachdem festgestellt worden war, dass in der dem Fürsten von Thurn und Taxis übertragenen Postverwaltung sogenannte „geheime Logen“ bestanden, die Briefe öffneten, Abschriften erstellten und an den österreichischen Hof u. a. verkauften, musste der Fürst von Thurn und Taxis die Post abgeben. Thurn und Taxis schloss daraufhin mit einigen deutschen Staaten Einzelverträge über die Ausübung der Posthoheit. Von einigen Staaten wie Bayern und Baden wurden nach Übernahme des Postwesens durch den Staat hohe und langjährige Entschädigungszahlungen an Thurn und Taxis geleistet.  

Die Post im Weiltal - Teil 2 von 5 - Die Weilmünsterer Bittschrift von 1848 

Die Geschichte der Post im Weiltal – Frei nach Alfred Hofmann, Weilburg - Redigiert von Heribert Domes, 2023

Durch den Verlust der Poststation stellen sich im Wirtschaftsleben Weilmünsters im Laufe der Zeit erhebliche Nachteile gegenüber anderen Gemeinden ein, die das Glück hatten, durch ihre Lage von der Post gut versorgt zu werden. Nach einer 42jährigen Zeit ohne eigene Poststation entschlossen sich die Weilmünsterer Bürger im Jahr 1848 bei der herzoglich-nassauischen Landesregierung vorstellig zu werden und um Abhilfe zu bitten.

Weilmünsterer Bittschrift

In ihrer drei Seiten langen Bittschrift vom 12. Dezember 1848 schreibt Oberschultheiß Dienst unter anderem:

… Der Flecken Weilmünster, fast 1500 Seelen stark, früher Sitz eines Amtes, dermalen derjenige der Lokalverwaltung, zweier Geistlicher, eines Oberförsters, eines Arztes, einer Apotheke, usw. ist 2½ Stunden von dem Amtssitz entfernt, wo zugleich die respektive Chefs der übrigen Lokalbeamten wohnen; Audenschmidt, das Dörfchen und eines der größten und auf die ganze hiesige Gegend infulierendes Hüttenwerk ist noch eine halbe, das Pfarrdorf Langenbach sogar eine ganze Stunde weiter; die übrigen Orte: Rohnstadt, Aulenhausen, Lützendorf, Ernsthausen sind alle 2 bis 3½ Stunden von Weilburg entfernt. Die Gegend ist wegen ihres Bergbaus sowohl auf Eisenstein, als Braunstein bekannt, wichtig. Diese Industriezweige und das genannte Hüttenwerk sind, man kann sagen,  die Stützpunkte für die zahlreiche, auf Handverdienst hingewiesene ärmere Bevölkerung ...

Vorschläge für den Postverkehr

… Die übrigen Briefe, nach und von der Post, werden wöchentlich blos zweimal durch den Amtsboten oder sonst durch extra zu zahlende und dabei nicht immer die notwendige Sicherheit bietende Privatboten hin und hergebracht. Allen diesen und noch anderen Unzuträglichkeiten, wohin die hohe Teuerung von Briefen und Zeitungen zu zählen ist, könnte auf eine ganz einfache Weise durch Errichtung einer Postexpedition zu Weilmünster abgeholfen werden. Die Sache wäre etwa auf folgende Weise einzurichten. Morgens ca. 5 bis 6 Uhr täglich kommt der von Weilburg über Usingen nach Frankfurt gehende Eilwagen an dem sogenannten Einhaus ½ Stunde von Weilmünster vorbei und nachts etwa 11 bis 12 Uhr geht er daher zurück.

Falls man sich nicht von Seiten des hochlöblichen Oberpostamts zu Frankfurt einen eigenen Expeditor zu Weilmünster anstellen wollte, würde sich daselbst sehr leicht ein gehörig qualifizierter Mann finden, der die Expedition entweder vertragsmäßig oder gegen die gewöhnlichen Emolumente übernehme, so dass wohl ohne Opfer, dagegen zum Vorteil für die Post, dem dringend geführten Bedürfnisse könnte abgeholfen werden. Das Bedürfnis würde noch gesteigert werden, wenn, wie man dahier allgemein hofft, bei der demnächstigen politischen Umgestaltung der Justiz- und Verwaltungsbezirke Weilmünster, der Sitz eines Friedensgerichtes werden wird, doch dürfte wohl zu erwarten stehen, dass die Gewährung der hier gehorsamst vorgetragenen Bitte nicht bis dahin verzögert werde…

…In der Hoffnung, dass die Hohe Landesregierung unser gehorsamstes Gesuch beim Hohem Staatsministerium vorlegen und unterstützen wolle, verharren wir einer Hohen Landesregierung gehorsamste Supplikanten.“

Mitunterzeichnet wurde diese Bittschrift von den Schultheißen Weber zu Altenkirchen, Löhr zu Möttau, Erbe zu Aulenhausen, Rosenkranz zu Ernsthausen, Hardt zu Langenbach, Stahl zu Audenschmiede und Ernst zu Lützendorf; von dem Gemeinderechner Gath und Pfarrer Zickendraht zu Altenkirchen, Orgelbauer Raßmann und Lehrer Kretzer zu Möttau, Pfarrer Snell zu Langenbach, Hüttenbesitzer Friedrich Buderus, zu Audenschmiede und schließlich von dem Weilmünsterer Bürgern Pfarrer Göllner und Caplan Wagner, Oberförster Schrambartz, Apotheker Schumann und Medizinasisstent Weber, Bergverwalter Nölich, Hüttenverwalter und Besitzer der Schneidmühle J. Baertsch, dem Grubenbesitzer und Kirchenrechner C. Vonhausen, dem Gasthalter und Holzhändler Karl Nickel und schließlich den Kaufleuten R.V. Lud. Pulch, Peter Kohl, Georg Brühl, Fr. Vonhausen, Ptr, Vonhausen, Carl Jessel, den Färbern Friedrich Schmidt und D. Weil sowie dem Tuchmacher Peter Schäfer. 

Bedingungen für eine Postexpedition

Nachdem der Hütteninspektor Baertsch sich erboten hatte, die Postexpedition zu übernehmen und am 2. Juli 1849 um Abgabe der Bedingungen für die Übernahme beim Postverweiser Rücker in Weilburg bittet, wird ihm schon am darauffolgenden Tag eröffnet:

 „Die Bedingungen sind, dass dem Übernehmer der Collektion – von einer Expedition ist noch keine Rede – die Bestellgebühren für Briefe und Zeitungen – im Betrag von ca. 150 Gulden – überlassen werden sollen, dieser dagegen den Briefträger, der zugleich die anliegenden Orte zu begehen hätte und die Boten, die die Pakete entweder am Einhaus oder in Usingen und Weilburg abzuholen haben, zu bezahlen hat. Ob die Pakete am Einhaus im Empfang genommen werden können, ist noch nicht bestimmt. Wollen sie unter diesen Bedingungen darauf eingehen, so erbitte um baldmöglichste Antwort.“

Drei Tage später erhält Baertsch auf seine Bitte um weitere, ergänzende Angaben die Mitteilung:

„Ob die Einrichtung getroffen wird, dass Boten aufs Einhaus gehen um die Taschen von Weilburg und Usingen im Empfang zu nehmen oder Boten nach Weilburg und Usingen gehen sollen, darüber ist noch nichts bestimmt. Der Ihnen angebotene ungefähre Betrag von 150 Gulden betrifft den Briefkreuzer und Gebühren für die Zeitungen. Der von Ihnen zu unterhaltende Briefträger hätte die Orte Altenkirchen, Audenschmiede, Aulenhausen, Dietenhausen, Ernsthausen, Langenbach, Lützendorf, Möttau, Rohnstadt und Weilmünster zu begehen. Sie wollen sich nun erklären, ob Sie gegen Überlassung der erwähnten Bestellgebühren die Collektion übernehmen und die bezeichneten Boten und Briefträger unterhalten wollen."

Bürger von Weilmünster sind ungeduldig – Gehorsamste Vorlage beim Ministerium

Nachdem ein Jahr vergangen ist, ohne dass sich in der Sache etwas Entscheidendes getan hat, veranlassen die ungeduldig gewordenen Weilmünsterer Bürger den Gemeinderat, bei dem Herzoglichen Kreisamt in Hadamar vorstellig zu werden, der daraufhin am 19. November 1849 schreibt:

…Es ist fast ein volles Jahr verflossen, als die Staatsdiener, Geistlichen, Ratsvorstände und Gewerbetreibenden zu Weilmünster, Audenschmiede und der Umgegend in einer Petition in rubrizierter Hinsicht beim Hohem Staatsministerium zu Wiesbaden gehorsamste Vorschläge machten, und noch ist nicht ein günstiger Entscheid ergangen und ein monatliches Hoffen blieb unerfüllt ...

… Als einmal verlautet, dass der Herzogliche Postverwalter Rücker zu Weilburg in Weilmünster sollte gewesen sein – man weiß aber nicht, ob er die Verhältnisse hätte prüfen sollen oder was sonst der etwa officielle Grund seiner Anwesenheit mag gewesen sein, da darüber zur Publicität nichts gelangt ist – so hat sich der dahier wohnende Hüttenverwalter Baertsch an die Postverwaltung gewendet, um sich um die Expedition zu bewerben…

Briefträgerkreuzer – aber unsichere Boten

… eine Briefkollektionsstelle genügt den hiesigen Bedürfnissen nicht, wegen der Stärke und Ausdehnung der Correspondenz und des Frankierens der Briefe. Eine Expedition würde ferner für die hiesige Gegend den Vorteil haben, dass Briefe und Zeitungen fernerhin minder teuer zu stehen kämen. Wir müssen in Weilburg den Briefträgerkreuzer bezahlen und uns dennoch die Briefe für unser Geld durch leider allzu oft unsichere Boten abholen lassen und doch ist die Post ja für das Publikum da! Sie sollten im Dienste ihre Obliegenheiten erfüllen, d.h. unentgeltlich wenigstens die Briefe so lange aufheben, bis sie abgeholt werden...

Vorschlag für den Posttransport

… Der Postillion müsste von Weilburg bis ans Einhaus die Weilmünsterer Tasche umhängen, dort abgeben, die andere empfangen und wieder bis Usingen umhängen. In Usingen würde dieselbe abends aber in den Wagen eingeschlossen werden und so nicht minder sicher des nachts nach Weilburg kommen, als der Frankfurter Briefbeutel. Wenn wir bedenken, was abermals in letzter Zeit an anderen minder bedeutsamen Orten des Herzogtums in Leben geführt; wenn wir daran erinnern, wie der königlich preußische Minister v. d. Heidt sich neuerlich der Besorgung der Zeitungen nur angenommen wie hier aber nicht blos die Annehmlichkeit, sondern das materielle Wohl der hiesigen Bevölkerung gebessert und gehoben werden soll, so hoffen wir das hochlöbliche Herzogliche Kreisamt zu Hadamar wird in Berücksichtigung der Gründe zu unserer gehorsamsten Bitte, die Sache in kräftige Hand nehmen und sie bei Hohem Staatsministerium geneigtest bevorworten.

Im Namen der Gemeinde – Bürgermeister Weil.“

Der Gemeinderat: Peter Wagner, Philipp Kurt, Pt. Weil, Fr. Vonhausen, Heinrich Söhngen, Ludwig Epstein, Christian Werner und Mathias Vonhausen.

Amtlich ablehnende Haltung

Am 3. Februar 1850 endlich teilt der Herzogliche Oberpostmeister dem Herzoglichen Staatsministerium mit:

„Dass seitens der Postadministration auf den Antrag nicht eingegangen werden kann, in dem der Postverkehr dieses Fleckens nach den angestellten zuverlässigen Ermittlungen keineswegs von solcher Bedeutung ist, als es von den dortigen Bewohnern geschildert wird und außerdem die von der Poststraße entfernte isolierte Lage dieses Ortes auf die Errichtung einer Briefsammlung, wie zu Obertiefenbach, welche die Bittsteller eigentlich im Auge gehabt zu haben scheinen, untunlich macht“.


Die Post im Weiltal - Teil 3 von 5 - 1868 erhält Weilmünster erneut eine Postexpedition

Die Geschichte der Post im Weiltal – Frei nach Alfred Hofmann, Weilburg - Redigiert von Heribert Domes, 2023

Erst am 16. April 1868, nachdem Preußen Nassau einverleibt hatte, errichtete die Postverwaltung in Weilmünster eine Postexpedition II. Klasse, die mit Weilburg durch eine tägliche Botenpost mit folgenden Kurszeiten Verbindung erhielt:

Vormittags, Weilburg ab um 8 Uhr 40 Minuten (ab 8. Oktober des gleichen Jahres bereits ab 7 Uhr), in Weilmünster an um 11 Uhr und nachmittags ab in Weilmünster um 2 Uhr, in Weilburg an um 4 Uhr 20 Minuten.

Der Landbriefbestellbezirk der neuen Postanstalt umfasste die seither von Weilburg bzw. Villmar aus begangenen Orte Altenkirchen, Audenschmiede, Aulenhausen, Blessenbach, Dietenhausen, Elkerhausen, Ernsthausen, Laimbach, Laubuseschbach, Langenbach, Lützendorf, Möttau, Rohnstadt und Wolfenhausen.

Nach der Wiederaufnahme des Postbetriebes im Jahre 1868 befand sich die Poststelle Weilmünster in der Färbergasse und später, etwa von 1877 bis 1902 im Haus der vormaligen Oberförsterei in der Möttauer Straße in dem Haus, in dem später das Elektrofachgeschäft Erwin Ketter bis zum Jahr 2020 ansässig war.

Schon im Jahr 1869 tritt eine entscheidende Verbesserung ein. Ab dem 1. Juli wird die Botenpost von Weilburg nach Weilmünster eingestellt und dafür die bisher direkt über das Einhaus nach Usingen fahrende Personenpost durch das Weiltal, mit den Posthaltestellen bei der Papiermühle, am Gasthaus Essershausen, am Gasthaus  Ernsthausen, der Posthaltestelle Lützendorf und schließlich nach Weilmünster geführt. Damit ist ein seit 40 Jahren in Weilmünster gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Diese Personenpost fuhr in Weilburg abends um 6:10 Uhr ab und traf in Usingen um 9 Uhr ein, hat Weilmünster also etwa um 7:30 Uhr passiert. 

Nach Fertigstellung der neuen Weilstraße fährt diese Personenpost ab 4. Juni 1870 auf der ganzen Strecke durch das Weiltal. Das Einhaus sowie Grävenwiesbach, die ein Jahrhundert lang Poststationen für die fahrende Post zwischen Weilburg und Usingen waren, werden nicht mehr berührt. Auf der neuen Strecke kommen vom Eröffnungstag an Haltestellen in Merzhausen, am Landstein, den Gertrudenhammer in Emmershausen, Winden und Audenschmiede in Gebrauch, während in Rod an der Weil eine Postexpedition II. Klasse eröffnet wird.

Die Abfertigung der Post nach Weilburg erfolgte in Usingen um 4 Uhr 15 früh und nach Usingen in Weilburg um 6 Uhr 10 Minuten abends.

Telegraphenbüro 1863 – Der Telegraph revolutionierte weltweit die Nachrichtentechnik. Dabei war noch 1845 in Preußen ein Patentschutz für den Morseapparat abgelehnt worden, weil die Erfindung zu unwesentlich sei.Jubiläumspostkarten 500 Jahre Post, gestaltet von Peter Steiner, freie moderne Umsetzung von historischen Postmotiven.Archiv: Heimatverein Weilmünster e.V.

Bedeutung. Schon Ende 1871 wird die Einrichtung einer mit der Ortspostanstalt zu verbindenden Telegraphenstation angekündigt. Der Anschluss des Posthauses erfolgte bald darauf an eine bereits am Einhaus entlangführende Staats-Telegraphenlinie. Im Jahr 1872 wurden bereits 318 Depeschen aufgegeben und 273 empfangen.

Der Umfang des Postbetriebes geht aus einer Übersicht aus dem Jahr 1876 hervor, wonach am Ort ein Telegraph und 2 Briefkästen vorhanden waren. Im Landesbezirk waren 10 Briefkästen angebracht. Ausgeliefert wurden 20.750 Briefe, 1.950 Pakete, 2.429 Postanweisungen und 371 Telegramme. Im gleichen Zeitraum sind 26.210 Briefe, 3.519 Pakete, 1.180 Postanweisungen und 433 Telegramme eingegangen. Mit der Postkutsche reisten in diesem Jahr 953 Personen.

Karl Schmidt und Karoline Bögerhausen Briefträger und SchusterFoto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Im Jahre 1876 wurde die Weilmünsterer Postexpedition II. Klasse zum Postamt III. Klasse erhoben. Durch die laufende Verbesserung des Postwesens ergaben sich häufig Änderungen in den Zustellbezirken. Während 1868 14 Orte zum Bezirk Weilmünster gehörten, fielen schon bald durch Einrichtung von Postagenturen in den Nachbarorten mehrere Zustellorte weg. Zu Aumenau, wo 1869 eine Postagentur eröffnet wurde, kamen die Orte Elkerhausen, Blessenbach, Laubuseschbach und Wolfenhausen. Laubuseschbach erhielt am 1. Juni 1891 selbst eine Postagentur. Für das Publikum traten durch die Errichtung von Posthilfsstellen wesentliche Erleichterungen ein. Diese befassten sich mit der Annahme, Ausgabe und Bestellung von gewöhnlichen Briefsendungen, mit der Ausgabe von Zeitschriften und dem Verkauf von Postwertzeichen

Sehr lange sollte sich Weilmünster an der 1869 errichteten Personenpost nicht erfreuen. Durch den Bau der Eisenbahn zwischen Weilburg und Frankfurt traten schon bald entscheidende Änderungen ein. Zunächst fiel ab 1. November 1891 mit Inbetriebnahme der Teilstrecke Weilburg - Weilmünster die Personenpost auf dieser Strecke wieder weg. Die Post stellte jetzt nur noch die Verbindung zwischen Weilmünster und Usingen her. In Weilmünster wurden die Postsachen den postmitführenden Personenzügen übergeben. Die Landpostfahrt zwischen Weilmünster und Altenkirchen erfuhr auf vielseitigen Wunsch der Bevölkerung eine andere Regelung, da die bisherige Route über Lützendorf, Ernsthausen, Laimbach, Altenkirchen, Möttau, Dietenhausen zu ausgedehnt war und mancherlei Unerträglichkeiten zur Folge hatte.

Ab 1. September 1894 gab es eine Neuerung. Der fahrende Landbriefträger fuhr täglich zweimal von Weilmünster über Möttau nach Altenkirchen und von dort, nach Bestellung zum Forsthaus Möttau und wieder direkt zurück nach Weilmünster. Die Abfahrt erfolgte in Weilmünster im Anschluss an den 1. und 3. von Weilburg kommenden Zug, also morgens um 7 Uhr 40 Minuten und nachmittags um 4 Uhr 30 Minuten.

Hierdurch war es möglich geworden, zweimal täglich bequem von und nach Möttau und Altenkirchen zu gelangen. Auf der verbleibenden Postkutschenstrecke nach Usingen wurde am 8. Dezember 1894 an dem Wegeabgang nach Langenbach, bei der Langenbacher Mühle, eine Posthaltestelle eingerichtet.

Die Post im Weiltal - Teil 4 von 5 - 1902 zog das kaiserliche Postamt Weilmünster in die Bahnhofstraße

Die Geschichte der Post im Weiltal – Frei nach Alfred Hofmann, Weilburg - Redigiert von Heribert Domes, 2023

1902 fand das kaiserliche Postamt eine neue Unterkunft in einer Doppelhaushälfte des 1899 von Wilhelm Buchholz erbauten Anwesens in der Bahnhofstraße, heute Hauptstraße 31.

1909 wird die Personenpost eingestellt

Mit Eröffnung der zweiten Eisenbahn-Teilstrecke zwischen Weilmünster und Usingen am 1. Juni 1909 schlug das letzte Stündlein für die Personenpost. Der Chronist berichtet hierüber: 

„Die Fahrpost Weilmünster – Usingen, welche durch die Eröffnung der neuen Bahn in Wegfall kommt, trat am 2. Pfingstfeiertag ihre letzte Fahrt an. Fleißige Hände hatten den Personenwagen mit Tannengrün, Blumen und Fähnchen schön geschmückt. Das gesamte Personal des hiesigen Postamtes gab dem langsam aus dem Hof fahrenden Wagen das letzte Geleit. Postillon Ernst ließ sein letztes Lied erklingen; wehmütig erklang die alte Weise: „Im schönen Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus“. Überall öffneten sich die Fenster, um den Abschiedstönen zu lauschen und dem Schwager den letzten Gruß zuzuwinken. Man nahm Abschied von einer liebgewordenen Einrichtung, die dem Beherrscher des Verkehrs, der Eisenbahn, Platz machen musste“.

Briefträger und Postbeamte um 1905 vor dem Kaiserlichen Postamt Weilmünster in der BahnhofstraßeVon links: Heinrich Quillmann, August Christian Emmerich, Peter Kopp, Christian Schmidt, Postverwalter Geis, Karl Schneider, und Hermann Weil.Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster e.V.

Versorgung durch Landkraftpostwagen

Ab 1. September 1929 traten durch die Aufnahme des Landkraftpostbetriebs grundlegende Änderungen ein. Vom Leitpostamt Weilburg aus fuhren zunächst zwei, ab 1930 drei Landkraftpostwagen, die u.a. auch die bisher noch zum Postamt Weilmünster gehörigen Orte Ernsthausen, Lützendorf, Audenschmiede, Langenbach, Rohnstadt, Dietenhausen, Möttau und Altenkirchen versorgten.

An allen Orten richtete man, soweit nicht schon vorhanden, Poststellen zur Annahme von Postsendungen jeder Art ein. Das Angebot reichte vom Telegrammservice, Vermittlung von Ferngesprächen, über den Verkauf von Wertzeichen und der Rentenauszahlung sowie der Einziehung von Rundfunk- und Fernsehgebühren. 

Obwohl die Kraftpost täglich zweimal und zwar vormittags und nachmittags die Landorte anfuhren, erfolgte die Zustellung selbst wie bisher nur einmal am Tag. Die nachmittags und sonntags eingehende Post – insbesondere Zeitungen – konnte jedoch während kurzer Zeit nach Eintreffen des Landkraftpostwagens bei der Poststelle selbst abgeholt werden. Durch diese Neueinrichtung wurden ebenso wie andernorts auch in Weimünster mehrere Landbriefträger überflüssig. Für den Personenverkehr trat am 21. März 1927 durch Eröffnung einer Personen-Kraftpost zwischen Weilmünster und Usingen eine wichtige Neuerung in Kraft. Die Kreiszeitung berichtet hierüber:

„Das neue Verkehrsmittel der Kraftpost hat nun auch Weilmünster wieder eine neue Verbindung gebracht. Bis zu dem Kriege bestand die Fahrpost  viele Jahre und stellte die Verbindung mit dem oberen Weiltal her, dass geschäftlich mit dem Marktflecken Weilmünster eng verbunden war. Der neuen Bahnstrecke Weilmünster – Usingen, welche ursprünglich durch das Weiltal geplant war, wurde in letzter Stunde eine andere Richtung gegeben. Die Fahrpost nach Rod a.d. Weil ist zu  Anfang des Krieges eingestellt worden und so war jede Verkehrsmöglichkeit mit dem oberen Weiltal, von Weilmünster aus, unterbunden. Deshalb war es auch zu verstehen, dass die Teilnehmer der gestrigen Eröffnungsfahrt beim Passieren der Ortschaften überall aufs herzlichste begrüßt wurden. Bei prächtigem Frühlingswetter traf gestern Nachmittag kurz nach 3 Uhr in Weilmünster der mit Tannengrün und Fähnchen festlich geschmückte Kraftwagen mit den Ehrengästen ein. Im Café Wagner begrüßte Herr Bürgermeister Müller die Gäste aufs Herzlichste und entschuldigte die Abwesenheit des Herrn Landrat Jenner, der leider durch dringende dienstliche Geschäfte nicht anwesend sein konnte."

Postkutsche der Landpostfahrt Audenschmiede – Rod a. d. Weil, um 1912 -  Foto: Archiv, HVW e.V.
Friedrich Quillmann Postschaffner und SchuhmacherFoto: Archiv, HVW e.V.

Zweimal Omnibus nach Usingen

Bürgermeister August Müller dankte allen, die sich um die Vollendung der neuen Strecke verdient gemacht haben, insbesondere Herrn Postrat Heberle. Endlich nach langen Verhandlungen sei der Wunsch des ganzen Weiltales in Erfüllung gegangen. Bei Kaffee, Gebäck und einem Glas Wein, welches die Gemeinde Weilmünster zu Ehren der Gäste servieren ließ, begrüßte der Landrat des Kreises Usingen, Herr v. Campe, die Gäste aufs Herzlichste, dankte für Speise und Trank und wünschte der neuen Strecke beste Rentabilität. Herr Postrat Heberle schloss sich den Ausführungen des Herrn Landrats v. Campe an und lud die Weilmünsterer Gäste gemeinschaftlich mit anderen Herren zu einer ersten Fahrt von Weilmünster nach Usingen ein. Gegen halb 5 Uhr ging die Fahrt von Weilmünster aus vonstatten und kurz nach halb 6 Uhr war man in Usingen. Im Gasthof „Zur Sonne“ bewirtete die Stadt Usingen die Fahrtteilnehmer aufs Reichhaltigste. Nach der Begrüßung der Gäste durch Bürgermeister Lißmann, Usingen, wurden noch eine Reihe von Ansprachen gehalten. Alle brachten den Dank an die Postverwaltung der von der Fahrstrecke betroffenen Gemeinden, der beiden Kreise Oberlahn und Usingen, der Stadt Usingen und der Gemeinde Weilmünster und ihres Kur- und Verkehrsvereins zum Ausdruck.

Nach 19 Uhr traf der Wagen wieder in Weilmünster ein. Möge die neue Linie unserem Weilmünster, dem Oberlahnkreis und dem Kreise Usingen dauernd zum Vorteil gereichen und eine weitere Entwicklung gewährleisten!

Postamt Weilmünster in der Bahnhofstraße, Aufnahme aus dem Jahr 1936Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e. V.

Dieser Omnibus fuhr täglich zweimal nach Usingen und zurück und berührte hierbei die Orte Audenschmiede, Winden, Emmershausen, Rod a.d. Weil, Neuweilnau, Landstein-Mühle und Merzhausen. In der neueren Zeit sind im Postwesen Weilmünster keine nennenswerten Änderungen eingetreten. Lediglich der Wegfall der Bahnpostverbindungen durch Einstellung der Eisenbahnlinie Weilburg – Laubuseschbach im Jahre 1968 und Weilburg – Grävenwiesbach im Jahre 1969 bedarf noch der Erwähnung.      

Die Post im Weiltal - Teil 5 von 5 - Die Posthäuser und ihre Vorsteher

Die Geschichte der Post im Weiltal – Frei nach Alfred Hofmann, Weilburg - Redigiert von Heribert Domes, 2023

Im Jahr 1570 richteten die Landgrafen von Hessen die erste Postverbindung in unserer Region als Reit- und Kurierpost ein. Sie führte von der fürstlichen Residenz der hessischen Linie Rothenburg zu Rheinfels bei St. Goar über die Hessenstraße nach Kassel und berührte unter anderem die Orte Nastätten, Münster, Weilmünster, Wetzlar und Marburg. 

Die Post-Kurierstation Weilmünster, der „Landgraf-Hessischen Post“, später auch „Königliche Schwendenpost“ genannt, im Jahr 1723 in die Kaiserliche Reichspost von Thurn und Taxis übergegangen, befand sich bis zum Jahr 1806 dort wo die Hauptstraße in Richtung Laukelpforte den Bleidenbach überquerte. Mit der Unterzeichnung des Rheinbundes im Jahr 1806 endete das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ und Weilmünster verlor seine Postkurierstation. Das Posthaus blieb, geführt von den Generationen Vonhausen/Eppstein, als Gaststätte und Metzgerei bis zum Abriss im Jahr 1991 erhalten. 

Das alten Posthausgebäude, als Hofreite im 16. Jahrhundert erbaut, erlebte seit der Gründerzeit bis zum Abriss 1991 keine baulichen Veränderungen. Der Gasthausbereich, Scheune mit Stall für die Wechselpferde und Nutztiere sind über die Jahrhunderte hinweg nur immer wieder restauriert worden. 1928 errichtete man das Schlachthaus mit dem Verkaufsladen. Aus der Scheune wurde 1948 der uns noch in guter Erinnerung gebliebene Posthaussaal.

Der erste Posthalter des Posthauses Weilmünster ist uns unbekannt. Johann von Hausen (*1630 – †1680) Gastwirt und Landwirt ist möglicherweise der Vater des im Jahr 1692 als Posthalter, Gastwirt und Gerichtsmann erwähnten Jost Thomas von Hausen (*1654 – †23.03.1722). 

Das Posthaus in Weilmünster um 1970Ab 1570 Posthalterei der „Kasselischen Schwedenpost“, seit 1683 Gaststätte und Metzgerei, wurde 1990/91 abgerissen; auf dem freigewordenen Grundstück entstand das Bürgerhaus mit Gaststätte „Zum Posthaus“, eingeweiht am 01.07.1994Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Im Jahr 1723 gelang es der „Kaiserlichen Reichspost“ in Weilmünster eine Poststation einzurichten. Diese war zunächst in der Weißeroßgasse ansässig und wurde von Johann Nicolaus von Hausen, (*08.03.1692 – †13.11.1766) betrieben. Er war der Sohn des Posthausbesitzers Jost Thomas von Hausen. 

Johann Nicolaus von Hausen war der erste Weilmünsterer Posthalter der Kaiserlichen Post von Thurn und Taxis. Ihm wurde 1723 die erste Bestallungsurkunde verliehen und er verlegte zu dieser Zeit seine Posthalterei von der Weißeroßgasse in das Posthaus, da mit diesem Datum die „Kasselische Schwedenpost“ in der „Kaiserlichen Reichspost“ aufging. Im folgte von 1750 bis 1762 sein Sohn Georg Christian Vonhausen. Der letzte Posthalter der Kaiserlichen Reichspost  in Weilmünster war von 1763 bis 1806 Jost Ludwig Vonhausen. 

Nach Wiederaufnahme des Postbetriebs im Jahre 1868 befand sich die Poststation zunächst in der Färbergasse und später, etwa vom 1877 bis 1902, im Haus der vormaligen Oberförsterei in der Möttauer Straße, in dem Haus in dem Erwin Ketter bis 2020 ein Elektrofachgeschäft betrieb. 1902 schließlich fand das damalige kaiserliche Postamt Weilmünster eine Unterkunft in einer Doppelhaushälfte des 1899 von Wilhelm Buchholz erbauten Anwesens in der Bahnhofstraße, heute Hauptstraße 31. Heute ist in diesen Räumen das Dogan Café zu finden. 

Das Postamt Weilmünster gab 1985 die Räume in der Bahnhofstraße 31 auf und bezog im von Joachim Jung neu erbauten Gebäude im Mühlweg 4, im Untergeschoss das 300 m² große neue Postamt.

Das am 26.11.1985 eingeweihte neue Postamt Weilmünster im Mühlweg 4Foto: Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Das Postamt Weilmünster wird aufgelöst

In Jahre 2004 wird das Postamt Weilmünster, Mühlweg 4, nach 19 Jahren Dienstzeit aufgelöst. Seit dieser Zeit werden die Post-Dienstleistungen von der Deutschen Post-Filiale Kramer Hoffmann, Marktplatz 13, angeboten. Diese Postfiliale ist in dem Textilwarengeschäft Kramer Hoffmann, damals von Kai Pyko betrieben, heute Kaipy fashion & more, integriert. Zunächst wurde die Postverteilung für Weilmünster und den umliegenden Ortschaften im Mühlweg 4 weitergeführt, bis man 2019 diesen Standort vollständig aufgab. Von nun an wird die Postverteilung für Weilmünster und den umliegenden Ortschaften von der Postverteilstation Weilburg bedient. 

Seit 2004 werden in Weilmünster die Post-Dienstleistungen von der Deutschen Post-Filiale Kramer Hofmann, heute Kaipy fashion & more, Marktplatz 13 angebotenFoto Archiv: Heimatverein Weilmünster e.V.

So schließt sich der Kreis. Das Postangebot in Weilmünster ist wieder in das Jahr 1806 zurückversetzt, als durch die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Weilmünster die Posthalterei an das hochherzogliche Haus Nassau verlor und viele Jahre lang von der abgelegenen Posthalterei Weilburg versorgt werden musste. Durch intensive Bemühungen der Weilmünsterer Bürger erhielt der Marktflecken schließlich am 16. April 1868, nachdem Preußen Nassau einverleibt hatte, eine ortsansässige Postexpedition II. Klasse. Jedoch sehen wir heute einen kleinen Unterschied zu dem Jahr 1806. Die Postsendungen werden von den Zustellern aus Weilburg in den schlichten, zweckmäßigen und teilweise elektrisch betriebenen gelben Postfahrzeugen an die Empfänger ausgeliefert.

Diese Fahrzeuge sind nicht mit den damaligen schönen von Pferden gezogenen Postwagen, die vor mehr als 150 Jahren unsere Heimat mit Postdienstleistungen versorgten vergleichbar.

Und noch etwas hat sich geändert: Die Laufzeit der Postsendungen von der Aufgabe bis zur Zustellung beträgt heute größtenteils nur 24 Stunden. Vor etwa 150 Jahren war das sicherlich beschwerlicher, denn die mit Pferden gezogenen Postkutschen benötigten eben eine angemessene Zeit um den nicht immer leichten Weg vom Versender zum Empfänger zurückzulegen. Wir wollen nicht traurig sein, Weilmünster hat schließlich seine Postfiliale, in der der Bürger seine Postgeschäfte abwickeln kann, beibehalten. 


Die Posthalter der hessischen Post von Thurn und Taxis:


Die Postvorsteher der Reichspost bzw. Bundespost:

300 Jahre Gaststätte und Metzgerei zum Posthaus in Weilmünster - 1683 bis 1983

Von der Postkurierstation über Gasthaus mit Metzgerei zum Bürgerhaus 

Heribert Domes 2023

Im Jahr 1983 feierte die Familie Eppstein mit ihrem Firmenchef, Rolf Eppstein, das 300-jährige Bestehen ihrer Metzgerei und Gastwirtshaft zum Posthaus in Weilmünster. Eigentlich beginnt die Geschichte des Weilmünsterer Posthauses etwa 100 Jahre früher.

Im Jahr 1570 richtete Landgraf Philipp II., der Jüngere, von Hessen-Rheinfels, erster und einziger Landgraf von Hessen Rheinfels (1541 – 1580) zwischen seiner Residenzstadt St. Goar und der seines ältesten Bruders Wilhelm IV. (Wilhelm der Weise von 1567 bis 1592 Landgraf zu Hessen Kassel) über die Hessenstraße eine Kurier- und Reisepost ein. Sie führte von St. Goar über Nastätten, Münster, Weilmünster, Wetzlar, Marburg nach Kassel.

Überliefert ist, dass 1683 Landgraf Friedrich von Hessen dem Posthalter Jost Thomas von Hausen (1654-1722) das Privileg zum Betrieb der Poststation verlieh. Er war der erste uns bekannte Weilmünsterer Posthalter. Vermutlich ist die Poststation Weilmünster von 1570 bis 1683 von seinen Vorfahren geführt worden. 

Etwa ab 1692 versuchten die Fürsten von Thurn und Taxis, als General-Postmeister der „Kaiserlichen Reichspost“, die Postroute auf der Hessenstraße zu führen. Doch die Landgrafen von Hessen lehnten sich gegen das angemaßte Privilegium der Fürsten von Thurn und Taxis auf und verwandelten 1711 die „Rheinfelsische-Post“ in eine „Kasseliche-Kurierpost“ um. Seit 1719 versuchte die „Kaiserliche Reichspost“ eine Posthalterei in Weilmünster für die Postlinie Wetzlar-Münster-St. Goar einzurichten. Aber erst im Jahr 1723 gestattete die „Herzoglich-Nassauische Regierung“ auf Vorstellung der Reichsstadt Wetzlar, der „Kaiserlichen Post“ die Errichtung einer Posthalterei in Weilmünster. Erster Posthalter der „Kaiserlichen Post“ war Johann Nicolaus von Hausen, seine Poststation befand sich zunächst in der Weißerossgasse im Gasthaus zum Weißen Roß, 1838 abgerissen und durch einen Neubau in der heutigen Form ersetzt. Dieses Anwesen ist heute im Besitz der Familie Herbert Köster. Kurze Zeit später  ging die „Landgraf-Hessische Post“ in der „Kaiserlichen Post der Thurn und Taxis“ auf und die Posthalterei wurde von der Weißeroßgasse in das alte Posthaus verlegt.

Auf der Poststrecke der Hessenstraße herrschte für die damalige Zeit ein reger Verkehr. 1772 registrierte man fast tausend Reisende, die auf dem Weg in die Kurbäder Wiesbaden und Schwalbach in Weilmünster Station machten. Zur Poststation Weilmünster mit Ausschank gehörte von Anfang an auch eine Fleischhauerei. Johann Nicolaus von Hausen (1692-1766), Posthalter, Bierbrauer, Küfermeister und Gastwirt erweiterte 1722 das Anwesen um eine Brauerei und einer Küferwerkstatt auf einer Teilparzelle des heutigen Rathausparkplatzes, dort wo ein Trampelpfad hoch zur Laubuseschbacher Straße führt.

Ludwig Philipp Vonhausen mit seinem Sohn Carl und seiner Tochter Auguste.Aufnahme von Peter Flum Weilburg 1892Foto: Archiv, HVW

1880 baute Christian Vonhausen, Urgroßvater von Herbert Köster auf der Parzelle gegenüber dem heutigen Bürgerhaus ein neues Brauhaus und verkaufte das alte Braugebäude. 1908 brannte das neue Brauhaus ab. Daraufhin gab man die Brautätigkeit auf und änderte das Gebäude zu Wohnzwecken um. Es handelt sich um das heute als Wohn- und Geschäftshaus genutzte Backsteineckgebäude.

Der Name „von Hausen“ wird von Johann Nicolaus Söhnen, Georg und Jost Ludwig erstmalig in der abgeänderten Form „Vonhausen“ geschrieben.

Mit der Auflösung des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ im Jahr 1806 fiel die kaiserliche Posthoheit an das „Herzogliche Haus Nassau“. Somit verlor Weilmünster seine Posthalterei. Der damalige Posthalter Johann Philipp Vonhausen (1766-1836) verwandelte die Poststation in eine Gastwirtschaft, Metzgerei und Landwirtschaft. Die Brauerei und die Küferei waren schon vorher in Folge von Erbteilungen abgetrennt worden. 

Bis zum Jahr 1930 blieb das Posthaus im Besitz der Familie Vonhausen. Über sieben Generationen hinweg wurde das Anwesen jeweils vom Vater auf den Sohn vererbt und vergrößerte sich im Laufe der Jahrhunderte zusehends. Nachdem die Ehe des letzten Posthausbesitzers Carl Vonhausen (1873-1939) kinderlos geblieben war, erbte 1930 die Nichte Paula Eppstein geb. Dienst (1901-1958) das Unternehmen.

Sohn Herbert Eppstein, Metzgermeister, Land- und Gastwirt (1923-1975) unterhielt zwischen 1957 und 1964 zusätzlich eine Kelterei. Er gab 1960 aus gesundheitlichen Gründen die Landwirtschaft auf und verstarb 1975 im Alter von 52 Jahren. Das Posthaus erbte sein Sohn Rolf, der mit seiner Mutter Hedwig im Jahr 1983 das 300jährige Betriebsjubiläum feiern konnte. Kurze Zeit später verkaufte er sein Anwesen an die Gemeinde Weilmünster, die beabsichtigte auf dieser Parzelle, nach Abriss der Gebäude, ein Bürgerhaus zu bauen. Die Gastwirtschaft führte der Pächter Friedhelm Ginsberg bis zum Abriss im Jahr 1991 weiter.

Postkarte aus dem Archiv, Heimatverein Weilmünster e.V.

Im Dezember 1991 ist das Posthaus mit seiner über 300-jährigen Geschichte der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Das alte Posthaus ist seither nur noch bleibende Erinnerung. Dort wo sich Generationen bei Speis und Trank labten, unzählige Hochzeiten gefeiert wurden, die jährlichen Tanzstundenabschlussbälle die Jugend in die Gesellschaft einführten, die Schul-Abschlussfeiern für die Heranwachsenden  ein Symbol des Übergangs in die Arbeitswelt darstellten, die legendären Rosenmontagsbälle den Posthaussaal überfüllten, ging damit eine Ära des gesellschaftlichen Lebens zu Ende. In einer Bauzeit von zwei Jahren und neun Monaten entstand auf einer Grundfläche von 850 m² ein futuristisch erscheinendes Gebäude mit einer Nutzfläche von 1058 m². Das neue Bürgerhaus bietet einen Saal mit Bühne, in dem etwa 500 Personen Platz finden, eine Gastwirtschaft, 2 Kegelbahnen und diverse Kollegräume. Mitten im Ortskern von Weilmünster entstand auf historischem Boden, im 16. Jahrhundert innerhalb der ersten Stadtmauer gelegen, ein zukunftsweisendes Gebäude der Begegnung. Die zu Anfang häufigen Gebäudedesign-Diskussionen sind mittlerweile verstummt und die Weilmünsterer Bevölkerung hat seit der Eröffnung am 01.Juli 1994 ihre gute Stube als Ort kultureller und kulinarischer Gastlichkeit mit Leben gefüllt.   

Das neue Bürgerhaus wurde am 01. Juli 1994 eingeweiht.